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Ein Tag ohne Zufall

Ein Tag ohne Zufall

Titel: Ein Tag ohne Zufall
Autoren: Pearson Mary E.
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nicht kommen kann«, wendet Aidan schließlich ein.
    »Das war ich. Ich habe selber im Sekretariat angerufen und eine Nachricht hinterlassen. Ich bin immer für Tante Edie eingesprungen, damit sich keiner wundert, dass sie nie auftaucht.«
    »Aber du hast doch eben gesagt, es gibt sie gar nicht! Wie kannst du dann für sie einspringen?«
    Ich drehe mich auf meinem Sitz herum und schaue Aidan an. »Weil es sie
für mich
gegeben hat, darum! Ich hätte eine Tante wie sie gebraucht … eine, die mir niemand wegnehmen kann! So eine Tante hätte ich mich getraut liebzuhaben.«
    Er will schon etwas erwidern, aber mein letztes Wort –
Liebhaben
 – lässt ihn innehalten. Über Gefühle zu sprechen ist äußerst heikel, außerdem habe ich keine Übung darin. Der einzige Mensch, dem gegenüber ich mir Gefühle gestattet habe, war Tante Edie, und die ist jetzt ein für alle Mal als Phantom entlarvt. Ich drehe mich wieder nach vorn und schaue geradeaus in die Dunkelheit.
    »Jetzt versteh ich auch das mit den nicht abgeschickten Briefen besser«, sagt Aidan leise.
    Mira beugt sich vor und tätschelt mir die Schulter. »Ich find’s okay, sich eine Tante Edie auszudenken. Eigentlich eine geniale Idee. Schade, dass mir so was nicht eingefallen ist. Ich hätte meine aber Tante Lucy genannt. Den Namen fand ich schon immer superschön.«
    Wieder mal sind alle Unstimmigkeiten aus dem Weg geräumt, alle Wogen geglättet. Ich erwidere grinsend: »Danke schön, Mira. Ich mag den Namen Lucy auch. Vielleicht kann ich ihn ja ein andermal verwenden.«
    Seth kramt in seiner Hosentasche nach dem Zündschlüssel. »Es gibt kein ›andermal‹, okay? Es gibt ’ne Menge lebendige Leute, die du …« Er unterbricht seine Suche und schaut mich an.
    »Ja bitte?«
    »Hab ihn!« Er zieht den Schlüssel aus der linken Hosentasche.
    Hinter mir haut Mira mit der flachen Hand auf den Sitz und ruft aus: »Ich glaub’s echt nicht, dass dieser Superschlitten dir gehört!«
    »Ich schon.« Aidan hebt Lucky über die Rückenlehne und legt ihn zwischen Seth und mich. »Heute halte ich so ziemlich alles für möglich. Zum Beispiel, dass Des ihr eigenes Auto klaut.«
    »Was logisch betrachtet nicht sein kann«, widerspricht ihm Mira. »Man kann sich nicht selber beklauen. Des hat nichts verbrochen. Und wir drei auch nicht.«
    Seth lässt den Motor an und fährt langsam wieder auf die Straße.
    »Wir haben keinen Autodiebstahl begangen, das stimmt«, sagt Aidan, »aber wir haben den Unterricht geschwänzt und uns unerlaubt vom Schulgelände entfernt. Der Direktor kriegt doch jedes Mal einen Anfall, wenn man gegen die Schulordnung verstößt. Er wird an uns ein Exempel statuieren.«
    Ich gebe es nur äußerst ungern zu, aber Aidan hat vollkommen recht. Unser Ausflug wird Folgen haben, vor allem für mich, weil ich mir zum wiederholten Mal etwas zuschulden kommen lasse, aber auch die anderen werden nicht ungeschoren davonkommen. Und doch kann die Gewitterwolke über unseren Köpfen keinen Schatten auf den heutigen Tag werfen. Das empfinden wir alle so. Sogar Aidan. Das hört man. Er schildert noch einmal, wie er direkt neben dem Präsidenten gepinkelt hat, wie er ihm seine Überlegungen erläutert hat, woraufhin der Kongress vielleicht sogar ein Gesetz nach ihm benennen wird. Mira hat sich an ihn gekuschelt, kühn den Kopf auf seine Schulter gelegt und verkündet fröhlich, dass sie alles für möglich hält, auch ein Gesetz namens
Aidan-Urlaubsregelung
. Sogar ich halte das einen Augenblick lang für möglich.
    Der heutige Tag lässt sich nicht mit dem gesunden Menschenverstand erklären, aber mein Leben hat sich noch nie nach dem gesunden Menschenverstand gerichtet. Mein Leben war eine ungerechte, unlogische und chaotische Angelegenheit und ist mir viele Antworten schuldiggeblieben, aber das geht vielleicht allen Menschen so. Manchmal kommt ganz viel Gerechtigkeit auf einem Haufen zusammen, manchmal ganz viel Ungerechtigkeit, und manchmal treffen auch Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit auf eine Art aufeinander, die sich jeder Logik entzieht, aber wie es einem auch ergeht, wo man auch steht, es gibt immer Augenblicke, die einen in dieser Welt halten, auch wenn man ihr eigentlich lieber entfliehen möchte. Flüchtige Augenblicke, zauberhafte Augenblicke, in denen auf einmal alles einen Sinn und Zweck hat, Augenblicke, die so wunderschön sind, dass es weh tut. Wie so viele Zwischendurch-Augenblicke heute. Ja, schon klar, es siegt nicht immer das Gute, und es
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