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Ein Tag ohne Zufall

Ein Tag ohne Zufall

Titel: Ein Tag ohne Zufall
Autoren: Pearson Mary E.
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Erlaubnis zu bitten, aber das war ihm egal. Einmal hat sich ein Makler sogar direkt mit mir in Verbindung gesetzt. Mein Vormund war stinksauer. Ich nehme an, er wollte mich möglichst schonen, damit ich irgendwann über meinen schrecklichen Verlust hinwegkomme. Er hatte meine Eltern sehr gern. Ihr Tod muss auch für ihn ein schlimmer Verlust gewesen sein, aber das hat mich nie interessiert. Vor ein paar Monaten hat er dann noch einmal wegen des Hauses mit mir gesprochen. Ob es nicht besser wäre, wenn dort wieder jemand einziehen würde. Eine Familie. Da habe ich zugestimmt. Unter einer Bedingung …«
    Aidan schaltet sofort. »Dass der Verkauf am neunzehnten Oktober stattfindet.«
    »Ich dachte …« Ich drehe mich weg.
    »Das passte zu deinem Zahlenaberglauben«, sagt Seth.
    Ich nicke. »Ich hatte gehofft …« Ich schaue in meinen Schoß, wo meine Hände mit nach oben gekehrten Handflächen liegen, »… ich habe immer noch gehofft, dass es irgendeinen Trick gibt, die Zeit zurückzudrehen. Dass die richtige Kombination von Zahlen und Daten den falschen Ablauf von damals irgendwie rückgängig machen könnte.« Ich hebe den Blick von meinen Händen zu den Dachbalken der Scheune. »Ich weiß ja, dass es nicht klappen kann. Ich weiß es mit dem Verstand. Aber manchmal hilft einem der Verstand nicht weiter.«
    »Das war ja auch echt unfair.«
    »Gemein.«
    »Manchmal denkt man …«
    »Ja«, erwidere ich tonlos.
    Seth holt Luft und sagt: »Du hast immer noch Schiss, stimmt’s? Wegen heute. Dass du heute sterben musst wie deine Mutter.«
    Seine Direktheit überrumpelt mich. Ich habe diese Befürchtung noch nie ausgesprochen, weil ich Angst hatte, dass sie dann wahr wird, aber er hat recht. »Ja, ich hatte total Schiss«, gebe ich widerstrebend zu. »Ich habe mich an meinen Geburtstagen praktisch nicht getraut zu atmen, und mein Vormund hat alle Lehrer und Beratungslehrer verständigt, dass mein Geburtstag weder erwähnt noch gefeiert werden darf, weil ich sonst womöglich einen Rückfall erleide.«
    Im Nachhinein muss sogar ich schmunzeln. »Letztes Jahr hat mein Vormund einen Versuchsballon steigen lassen und mir eine Geburtstagskarte geschickt, und ich bin immerhin nicht in eine totale Angstlähmung verfallen. Das ist wahrscheinlich auch ein Zeichen, dass ich das Ganze akzeptiere beziehungsweise allmählich drüber wegkomme. Vielleicht habe ich mich ja endlich damit abgefunden, dass man nicht immer erklären kann, warum und wie etwas geschieht. Manchmal kommt es einem vor, als ob die Ereignisse eine Bedeutung haben, manchmal ist aber auch alles total sinnlos, und der Tag, an dem ich sterbe, kann genauso gut das eine wie das andere sein.« Ich lehne mich zurück und schlage die Beine übereinander. »Wie auch immer, man kann es sowieso nicht beeinflussen, stimmt’s? Man muss es nehmen, wie es kommt. Das Leben ist eine Wundertüte, und wenn du die nicht haben willst, kriegst du gar nichts. Ich hab’s satt, gar nichts zu kriegen.«
    »Oder eine Tüte Studentenfutter, die einem jemand anbietet«, sagt Mira versonnen. »Ich mag zum Beispiel keine Cashewnüsse, aber man isst sie dann aus Höflichkeit trotzdem. Weil es sich nicht gehört, sich nur die Rosinen rauszupicken.«
    Wir sehen Mira stumm an. Sie wird rot.
    »Okay, das war ein bescheuerter Vergleich. Was Des passiert ist, ist natürlich viel schlimmer als … äh, als die Cashewnüsse mitessen zu müssen.«
    »Auch nicht bescheuerter als Destinys Zahlenaberglauben.« Seth wirft eine Handvoll Heu nach ihr.
    Mira reißt erschrocken die Augen auf. Auch Aidan glotzt Seth sprachlos und mit offenem Mund an. Seth dagegen schaut mich lauernd und ironisch zugleich an. Er macht sich über mich lustig wie über jeden anderen normalen Menschen. Er fasst mich nicht mit Samthandschuhen an.
    Die Stille und Anspannung werden immer bedrückender, bis ich mir schließlich zwei Hände voll Heu greife und nach Seth werfe. Ich pruste los, und Mira stimmt in mein Gelächter ein und wirft auch mit Heu, und dann lachen wir alle vier und haben Heu im Haar, Heu im Kragen, Heu überall. Wir halten uns vor Lachen die Bäuche, wir lachen, bis wir keine Luft mehr kriegen, lachen wie die Verrückten, lachen darüber, wie absurd das Leben ist, wie absurd wir selber sind.
    Dann stupst Seth unauffällig mit seinem Fuß gegen meinen, als sollten es die anderen nicht mitkriegen, und einen Augenblick bin ich wie berauscht, fühle mich ihm verbunden, seiner Welt zugehörig, wie es mir noch nie
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