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Ein Tag ohne Zufall

Ein Tag ohne Zufall

Titel: Ein Tag ohne Zufall
Autoren: Pearson Mary E.
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mit jemandem gegangen ist.
    Das Gelächter wird leiser, verstummt. Mira wischt sich die Lachtränen aus den Augen. Aidan putzt sich die Nase.
    Und ich werde auf einmal so mutig wie noch nie. Ich stupse Seth auch mit dem Fuß an, und als er zu mir herschaut, bewege ich stumm die Lippen und sage: Danke. Er nickt kaum merklich, sein Blick verrät mir, dass er mich verstanden hat.
    »Das war ein total schöner Tag!« Mira wackelt in ihren vorn offenen roten Plateauschuhen mit den Zehen. »Seth hat wieder einen Hund, Aidan hat mit dem Präsidenten gesprochen, und Des hat es endlich geschafft, sich zu verabschieden … aber so, wie wir hier grade sitzen, ist es echt die Krönung.« Man sieht ihrem strahlenden Gesicht an, dass sie rundum zufrieden ist. Wir hocken Schulter an Schulter im Heu, alle Geheimnisse sind offenbart, aller Abstand hat sich erübrigt, alle Verstimmungen sind bereinigt. Mira braucht sich keine Sorgen zu machen, keiner stichelt, keiner brüllt rum oder wirft böse Blicke, alle vertragen sich. In diesem Augenblick, wie sie da sitzt und mit den Zehen wackelt, scheint die Welt in Ordnung zu sein.
    Und vielleicht ist sie das ja auch, jedenfalls in diesem einen Augenblick.

37
    Wir müssen nach Hedgebrook zurückfahren. Noch hat es keiner ausgesprochen, aber es ist uns allen klar.
    Unsere Schullaufbahn dort können wir knicken. Ich zumindest.
    Es war ein Tag, wie ich ihn mir gewünscht hatte, ein Tag, an dem letztlich alles wurde, wie es sein sollte, aber er ist noch nicht zu Ende. Als wäre der abgeschnittene Pferdeschwanz nicht schon schlimm genug – der Autodiebstahl und die Anstiftung dreier Musterschüler zu Straftaten werden mir einen Rausschmiss einbringen, und zwar gleich morgen früh, bloß dass ich diesmal wahrscheinlich nicht im nächsten Internat, sondern hinter Gittern lande. Die Ironie des Schicksals ist, dass ich ausnahmsweise gern bleiben würde. Weil ich jetzt einen Grund zum Bleiben habe. Aber mir war schließlich vorher klar, dass ein Tag wie dieser nicht ewig dauern kann. Nicht einmal ich kann mir so etwas einreden.
    Aidan und Seth klappen das Lederverdeck hoch, ich nehme so lange Lucky auf den Arm. Mira gibt den Jungs Anweisungen und zeigt ihnen, wo man das Verdeck festmacht.
    »So!« Seth lässt die letzte Halteklammer einrasten. »Jetzt haben wir’s auf der Rückfahrt ein bisschen wärmer.« Wir bibbern inzwischen alle vier. Ende Oktober ist keine Jahreszeit, um sich abends ohne Mantel draußen aufzuhalten.
    Mira fällt etwas ein. »Unsere Jacken sind doch noch hinten drin!«
    Schule und Schuluniformen sind inzwischen sehr weit weggerückt. Ich hatte die hässlichen blauen Blazer ganz vergessen, aber jetzt kommen sie gerade recht. Wir drängen uns um den Kofferraum, und Seth öffnet ihn. Drinnen geht ein Lämpchen an, und Seth holt die Tüte heraus, in der Babs aus dem Secondhandladen unsere Schuluniformen verstaut hat. Wir ziehen die Jacken sofort an. Seth deutet auf einen großen Karton ganz hinten im Kofferraum. »Was da wohl drin ist? Der Karton ist mir schon heute Vormittag aufgefallen, aber da dachte ich ja noch, es wär dein Auto, Des.«
    »Vielleicht was zu essen? Kekse oder so …«, meint Aidan hoffnungsvoll.
    »Wollen wir mal reinschauen?« Miras Vorschlag.
    »Ist jetzt auch schon egal, wenn wir noch ein paar Kekse klauen«, befindet Seth. Er zieht den Karton ein Stück zu sich heran. Dann zieht er an den Deckellaschen, die auch gleich alle vier aufgehen. Seth hebt eine Lage Seidenpapier an. »Von wegen Kekse!«
    Mira schubst ihn weg und späht ihrerseits in den Karton. »Da sind ja Puppen drin!« Sie zieht eine Puppe heraus.
    Mir bleibt fast das Herz stehen. Den grünen Reifrock kenne ich. Das ist eine Scarlett-O’Hara-Kostümpuppe. Ich drücke Aidan Lucky in den Arm und hole eine Puppe nach der anderen aus dem Karton. Rotkäppchen! Cissy in ihrem türkisen Abendkleid! Die schöne Spanierin! Sie sind alle noch da. Alle Puppen, die vorhin im Haus nicht mehr im Regal gesessen haben. »Das sind meine!«
    »Hä?«, macht Seth.
    »Das sind meine Puppen! Meine Sammlung! Die Puppen, die nicht mehr im Regal waren!«
    »Das gibt’s doch nicht«, sagt Aidan.
    Unten in dem Karton liegt ein gefaltetes Blatt Papier. Ich hole es heraus, falte es auf und lese den anderen im Schein der Kofferraumbeleuchtung vor:
    »Ich dachte, du willst die Puppen vielleicht gern aufheben. Dein Zimmer in Hedgebrook ist bestimmt groß genug. – E. F.«
    Ich schüttle fassungslos den Kopf.
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