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Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Titel: Ein Tag in Barcelona (German Edition)
Autoren: Daniel Brühl , Javier Cáceres
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uns anschließend ein Moritz-Bier und berberechos, Herzmuscheln, reinzupfeifen, hat er mir von seinen Erlebnissen berichtet. Vor allem von den Zeiten, als er noch ein glühender Anarchosyndikalist war, für Leute wie Buenaventura Durruti schwärmte, einen Anarchistenführer aus den dreißiger Jahren, und später davon träumte, George Orwell kennenzulernen.
    Orwell hatte sich 1936 freiwillig gemeldet, um wie viele andere Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle im spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republikaner gegen die Faschisten zu kämpfen. Orwell machte hier einschneidende Erfahrungen, erlebte an verschiedenen Fronten nicht nur die Brutalität des Krieges, sondern auch die Zerstrittenheit und Feindschaft in der Linken. Viele Erfahrungen mündeten in eines seiner berühmten Bücher, »Mein Katalonien«, eine eindrucksvolle Hommage an die Menschen jener Tage. In Barcelona wurde ihm ein Platz gewidmet, die Plaça George Orwell, mitten in der Altstadt.
    »Und weißt du, wo heute die meisten Kameras installiert sind in Barcelona, wo du die ganze Zeit beobachtet wirst?«, fragte Francisco jeden, dem er die Geschichte erzählte. Und jedes Mal, wenn er sie erzählte. Und ich wartete jedes Mal, bis er selbst antwortete, was ich längst wusste: am George-Orwell-Platz.
    Wie jeder in Spanien, der den Bürgerkrieg erlebt hat, hatte auch Francisco dramatische Geschichten zu berichten. Von Bombardements, schreienden Kindern, Frauen, brennenden Häusern, von Tagen, Nächten und Wochen voller Angst. Bis heute hat das Land diese Zeit nicht verwunden, manchmal verstummen die Gespräche, wenn jene Zeit erwähnt wird, manchmal werden sie erst recht laut und verletzend. Noch immer sind Tausende Opfer der Franco-Anhänger nicht geborgen. Erst vor ein paar Jahren begannen privat organisierte Vereine, Massengräber freizulegen, um die Toten zu exhumieren.
    »Bruderkriege« werden Bürgerkriege oft genannt, und wenn es jemanden gibt, der als Beleg dafür herhalten könnte, dann Francisco. Seine Familie wurde im Krieg in zwei Lager gespalten. Die einen hielten es mit den Falangisten, die anderen mit den Republikanern. So musste die Familie erleben und ertragen, dass der Lauf der Geschichte einen Graben zwischen Francisco und seinem Bruder zog, den nichts und niemand hat zuschütten können.
    Bis heute nicht.
    Wo sein Bruder lebt, das weiß Francisco nicht. »Irgendwo in Barcelona. Keine Ahnung, wo genau«, sagte er, als ich ihn einmal danach fragte. »Interessiert mich auch nicht.«
    »Aber du hast mir doch mal erzählt, dass du ihm das Leben gerettet hast?!«, fragte ich.
    »Ja, klar, er war ja trotz allem mein Bruder.«
    »Trotz allem«, das heißt, dass Same, sein jüngerer Bruder also, Falangist gewesen war – Teil der faschistischen Bewegung, auf die Franco sich stützte, als er im Juli 1936 gegen die Republik putschte, das Land in Blut badete, wohl Hunderttausende in den Tod riss.
    Tage nach diesem Putsch war Same von den »Roten«, den Linken also, gefangen genommen worden. Oder waren es Wochen, Monate? Aus welchen Gründen das geschah, habe ich von Francisco nie erfahren, ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob Francisco das überhaupt je eruiert hat. Oder eruieren wollte. Zerstritten hatten sie sich ja vorher schon. Seinerzeit hatte er nur erfahren, dass Same in den Pyrenäen erschossen werden sollte. Sein Bruder war also in akuter Lebensgefahr, deshalb blieb Francisco keine Zeit, lange nachzudenken. Und so ließ er trotz des Hasses auf seinen Bruder und auf all das, was er repräsentierte, seine Kontakte spielen.
    Francisco muss sehr einflussreich gewesen sein. Oder hatte er – beziehungsweise Same – nur Glück gehabt?
    Francisco tauchte am Tor des Gefängnisses auf, in dem man Same gefangen hielt, und bedeutete den Wachen, den Lastwagen anzuhalten, auf dem mutmaßlich Todgeweihte saßen. Lauter Männer, die dabei waren, mit dem Leben abzuschließen, so sie es denn nicht schon längst getan hatten.
    »Holt den da runter«, rief er.
    »¿Éste? ¿Seguro?«, knarzte einer der Roten zurück. »Dieser hier? Sicher?«
    Ja, genau der, lautete die knappe Antwort von Francisco. Der verstörte Bruder durfte tatsächlich absteigen, schlurfte durch die flirrende Hitze auf das Tor und seinen Bruder zu.
    Das war das letzte Mal, dass sich beide Brüder in die Augen geschaut haben. Es war Same, der verschämt den Blick abwandte, als ihm die Fesseln abgenommen wurden. So hat es mir jedenfalls Francisco erzählt.
    »Ich bin mir
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