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Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Titel: Ein Tag in Barcelona (German Edition)
Autoren: Daniel Brühl , Javier Cáceres
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ich? Ach was, es war viel mehr als das. Szenische Angst.
    Seine Aufmerksamkeit wollte ich, um jeden Preis, und ich wusste, dass man sich etwas echt Spannendes überlegen musste, um diesen alten Mann zu beeindrucken. Keine läppischen Kindereien, kein unmännliches Rumgeheule wie »Der Santi hat meinen Ball geklaut« oder so. Nein, nein. Gut erzählte Geschichten wollte er hören, nicht zu lang, aber mit Pointe und heldischem Epos. Seinetwegen ging’s deshalb bei mir mit dem Lügen los. Denn am liebsten hörte er Geschichten über Fußball. Und das, wozu ich auf dem Fußballplatz imstande war, hatte so rein gar nichts mit den Heldentaten und unfassbaren Toren zu tun, von denen ich ihm erzählte.
    Vor seinen Augen malte ich in den schillerndsten Farben aus, wie ich Phantasietore schoss, erzählte, wie ich von der Mittellinie aus auf das gegnerische Tor zulief, Gott und die Welt umdribbelte, wie es Pelé oder Alfredo Di Stéfano zu Jugendzeiten meines Opas gemacht hatten und in jenen Tagen Diego Maradona oder heute Lionel Messi. Von den anderen Jungs, das immerhin stimmte, wurde ich Brrrreme, Clinzmann oder Coolerrrr genannt und als Deutscher immer automatisch gewählt. Deutschland war ja damals eine Riesennummer im Fußball, Europa- und Weltmeistertitel lagen gar nicht so lange zurück, deshalb mühten sich auch die Spanier ab, Namen auszusprechen, die sich für sie anhörten, als ob jemand Schrauben verschluckt hätte: Brehme, Klinsmann, Kohler. Ich hatte ein fußballerisches Gütesiegel, einen Made-in-Germany-Stempel unter den Sohlen.

    »Und«, fragte mein abuelo dann mit Augen, die noch mehr funkelten als meine, »wie hoch habt ihr gewonnen?« Versteht sich von selbst, dass unser Gegner in meiner Erzählung selbst dann mit fliegenden Fahnen untergegangen war, wenn sie uns auf ebensolche Weise geschlagen hatten.
    »Und welche Mannschaft wart ihr?«, wollte Opa immer wissen, und auch da musste ich flunkern. Denn auf diese Frage konnte und durfte es nur eine Antwort geben: Real Madrid. Nach wie vor seine Lieblingsmannschaft, auch wenn er jetzt in der Stadt des ärgsten Konkurrenten wohnte.
    »Und die anderen?«
    »Na, der FC Barcelona«, sagte ich jedes Mal wie aus der Pistole geschossen und erntete jedes Mal ein: »Sehr gut, mein Junge.« Dann sagte er endlich: »Setz dich auf meinen Schoß!« Das war nicht bloß eine große Ehre. Ich habe es geliebt. Denn der Geruch von meinem spanischen Großvater war wunderbar, er roch nach Agua Brava, dem Rasierwasser von Puig, Tabak und langem Leben.
    Nach ein paar Minuten war dann aber auch genug mit Umarmen, die finstere Miene wurde wieder aufgesetzt, ein hala! dahingerotzt, ein Wort, das so viel heißt wie »auf!«, und schon hatte er mich mit einem Klaps hinauskomplimentiert. Die Audienz war vorbei. Ich zog dann zu meiner Oma weiter, um an eine der Magdalenas zu kommen, die sie aus dem Ofen geholt hatte und deren Duft sich in der Luft mit den Rauchschwaden vom Opa balgte.
    Ja, ich sage immer noch Magdalenas, obwohl sie nun auch in vielen spanischen Lokalen Muffins genannt werden, seit die Amis den Kaffee entdeckt haben. Muffins, bah! Kann man mich mit jagen – mit dem Wort. Aber schlechte Laune bei älteren spanischen Herren, die liebe ich! Liebe ich so sehr wie diesen Tag, der sich anschickt, herrlich zu werden.
    Langsam bequemt sich die Sonne hervor, schiebt sich über die Stadt, wälzt sich über die Küste und das Barceloneta-Viertel, wo früher bloß Fischer lebten, lässt die dunklen, verwinkelten Gässchen des Barri Gótic erstrahlen, durchflutet das Schachbrett des Eixample und die vornehme Zona Alta, Sant Gervasi, Sarrià, Pedralbes: die ganze Stadt, die nun zu meinem Zufluchtsort werden wird. Denn die Touristen lassen nicht lange auf sich warten. Schon fliegt die Tür auf, die ersten Scharen betreten das Café.
    Zeit zu zahlen.
    Zeit zu gehen.

Als Kind bin ich oft in die Tram gestiegen, die vorm Café Mirablau ihre Endstation hat und von dort wieder herunterfährt. Doch manches Mal bin ich auch zu Fuß hinuntergelaufen, und das mache ich immer noch gern. So wie jetzt. Ich pfriemele das Kopfhörerkabel auseinander, stecke mir die Stöpsel in die Ohren, drücke auf »Play« und kämpfe dann mit starren Beinen dagegen an, die abschüssige Serpentinenstraße zu rasch bergab getrieben zu werden. An Ecken, wo ich mich unbeobachtet fühle, singe ich mit:

»Con una canción sencilla/
Tres notas y una bandera/
Tan blanca como el corazón /
Que late en tu cuerpo de
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