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Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Titel: Ein Tag in Barcelona (German Edition)
Autoren: Daniel Brühl , Javier Cáceres
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sicher, dass er es bis heute bereut, mir sein Leben zu schulden«, sagte Francisco einmal zu mir, und mir wurde kalt bei dem Gedanken, dass irgendwo in dieser Stadt, vielleicht ganz in der Nähe, ein Mann durch die Straßen schleicht, der sich womöglich wünscht, er wäre an diesem heißen Sommertag 1936 gestorben, um nicht als Toter weiterleben zu müssen.
    »Habt ihr seither nie wieder miteinander gesprochen?«, fragte ich.
    »Kein Wort«, erwiderte Francisco, ehe er die Stille, die dieser Satz hinterließ, in Grund und Boden brüllte:
    » Venga, Dani, »auf, schieß, zeig, was du draufhast, zeig denen, was ich dir beigebracht habe!«
    In puncto Psychologie ist Francisco wahrlich nicht der Beste. Ich denke nur: Kannst du mich bei einem Spielstand von 11 zu 12 bitte noch etwas nervöser machen!?
    Gebannt stehen die Senioren um mich herum, unsere Gegner schmatzen pipas, Sonnenblumenkerne, um mich zu terrorisieren. Wenn ich Carmens Kugel wegballere, haben wir zwei Punkte und gewinnen das Spiel. Also fasse ich mir ein Herz und werfe die Kugel.
    Wow, das gibt’s nicht, ich schaffe tatsächlich ein carreau sur place, meine Kugel bleibt exakt dort liegen, wo Carmens eben noch lag, bevor sie in hohem Bogen weggeschmettert wurde. Das ist mir noch nie so schön gelungen!
    » Bueno, Chico . Macht nix, hast ja auch lang nicht mehr gespielt. Gibt Schlimmeres«, sagt Francisco, hört auf, seine Kugel mit dem Filztuch abzureiben, und legt mir stattdessen die trockene Hand in den Nacken. Als wolle er mich trösten. Ich verstehe gar nichts mehr. So wie damals in meiner Kindheit, als sich die Parkbesucher über unsere Nachbarin unterhielten.
    »Wie bitte?«, frage ich.
    »Das war meine Kugel, die du weggeschossen hast, du Trottel!«
    Ich merke, wie sich das Blut in meinem Kopf sammelt. Wie ich Wortfindungsstörungen habe. »Ich – ähm – tut mir – äh – muss eh los«, stottere ich. Leicht zerknirscht sage ich allen adéu, werfe einen letzten Blick auf die Stadt, das samtene Meer, und husche, noch ehe mich der Gedanke bezwingt, dass ich gern hineinspringen würde, eilig davon.

Eintauchen – das kann man auch woanders sehr gut: in meinem Lieblingsschwimmbad, das auf dem Montjuïc liegt und für die Olympischen Spiele 1992 hergerichtet wurde, für die Disziplin des Turmspringens. Es ist definitiv einer der gelungensten Olympiabauten und mitverantwortlich dafür, dass Barcelona häufiger als jede andere Stadt als Fassade für Werbespots herhalten muss: Wer hat sie nicht in Erinnerung, diese atemberaubende Panoramasicht auf Barcelona, diesen unbeschreiblichen, wolkenlosen Himmel, unter dem Akrobaten die Arme ausbreiten wie Flügel, um sich kunstvoll in die Tiefe zu stürzen?

    An einem der Hänge des Montjuïc befindet sich eines der wenigen italienischen Restaurants, die man in Spanien ohne weiteres besuchen kann, das Xemei im Passeig de’l Exposició. Viele der sogenannten Italiener sind nämlich in Wirklichkeit gar keine, also Achtung! Da sich Pacos und Francescos ja im Allgemeinen recht ähnlich sehen und eh alle nur mit Wasser und Olivenöl kochen, wird der Gast das nicht so genau nehmen, denkt man sich in Spaniens Pseudo-Pizzerien und lockt den ahnungslosen Gast in furchtbare Fallen. Mir ist das diverse Male passiert. Ist aber kein Wunder, da ich immer Lust auf italienisches Essen habe und gern unterschiedliche Lokale ausprobiere. Denn das muss ich unseren südeuropäischen Brüdern lassen, wenn auch nicht ganz ohne Neid: Sie haben die beste Küche, basta ! Während man jedoch in Deutschland in den allermeisten Lokalen italienische Cuisine unverfälscht genießen kann, haben sich auf der iberischen Halbinsel merkwürdige »Hispanisierungen« etabliert. Man verwendet zum Beispiel geschmolzenen Edamer statt Parmesan. Bah!
    Die Besitzer des Xemei, Max und Stefano, sind Zwillinge und echte Italiener, genauer gesagt Venezianer, die ganz phantastisch kochen, eben so wie in bella Italia. Viele ihrer Spezialitäten aus dem Veneto ähneln unseren katalanischen Köstlichkeiten, aber es gibt ebenso kleine wie feine Unterschiede: Pa amb tomaquet, das mit Tomate eingeriebene und in Öl getränkte Bauernbrot ist halt etwas anderes als die Bruschetta. Als Zeichen der Begeisterung über das Essen im Xemei sowie aus Verbundenheit und Freundschaft zu den beiden habe ich mich an der vollgekritzelten Wand zweimal verewigt und auf ihre Bitte hin einen gewonnenen Filmpreis als Dauerleihgabe dort stehen lassen.
    Abgesehen vom Xemei
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