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Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Titel: Ein Tag in Barcelona (German Edition)
Autoren: Daniel Brühl , Javier Cáceres
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Spanier erzählen könnte. Spanien ist ein Land, in dem noch bis vor kurzem katholische Moralvorstellungen aus vorvergangenen Jahrhunderten dominierten – und die Sünde quasi eingebettet ist: Wofür hat man den Beichtstuhl erfunden?
    In Wahrheit jedoch war »La Casita Blanca« ein »Freudenhaus« ganz anderer Art: In dem hotelartigen Etablissement fanden unzählige Paare ohne den Segen der Kirche beziehungsweise ihrer Eltern zusammen, um oft bloß die eiligsten Bedürfnisse der Liebe zu befriedigen.
    Meine Phantasie beflügelte das Haus vor allem deshalb, weil alles mustergültig ausgeklügelt war. Ein einziger Gedanke beseelte die Betreiber: den Besuchern des Häusleins absolute Diskretion zu garantieren. Das bedeutete zum einen, dass man für die Miete eines Zimmers niemals mit Karte zahlen konnte, sondern immer nur bar. Und zum anderen, dass die Gäste einander nie begegneten, weil die Hotelbesitzer dafür sorgten.
    Auf den Nachttischen der nicht gerade verspielten, aber mitunter gut verspiegelten Zimmer waren jeweils drei Knöpfe angebracht, die man betätigen konnte, beschriftet mit C, T und S. Das C stand für den camarero, den Kellner, der nicht nur Getränke, sondern auch Kondome in einer Durchreiche deponierte, das T für das Taxi, das man sich damit rufen lassen konnte, und das S für salir, rausgehen. Sobald man auf S drückte, leuchtete über den Türrahmen der anderen Zimmer ein rotes Licht auf. Das hieß: Rausgehen verboten.
    Dass es immer noch Menschen in Barcelona gibt, die das Weiße Häuschen für ein Bordell halten, dürfte vor allem mit einer Episode aus den Zeiten der Franco-Diktatur zusammenhängen. Damals gab es in Barcelona einen besonders scharfen und gnadenlosen Richter, der sich unbedingt durch die Bekämpfung der Prostitution einen Namen machen wollte. 1971 ordnete er eine Razzia in sämtlichen Bordellen der Stadt an – und schickte die Beamten auch durch die dreiundvierzig Zimmer des Weißen Häuschens. Es durfte erst sechs Jahre später wieder öffnen, als der Tod von Diktator Franco mehr als anderthalb Jahre zurücklag. Das Häuschen inserierte damals in der Lokalpresse: »La Casita Blanca – Ihnen wieder zu Diensten.«
    Vor ein paar Jahren wurde es dann geschlossen, ohne dass ich es von innen gesehen hätte – die Schönheit aus Sabadell wollte nicht mitspielen. »Lass uns lieber zur Plaça Lesseps gehen, Dani«, sagte sie.

Vom »Weißen Häuschen« ist es bloß ein Katzensprung bis zur Plaça Lesseps. Lange dachte ich, die Abfuhr durch die Dame aus Sabadell hätte mir den Platz vermaledeit. Doch mittlerweile bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass der Platz schon seit Ewigkeiten ein städtebauliches Desaster ist. Vor allem, seit dort die Bulldozer, Kräne und Baubuden standen und der Platz von Grund auf renoviert wurde.

    Ehrlich gesagt hatte man immer das Gefühl, dass dieser irrsinnige Aufwand an Baugerät bloß Fassade war. Denn irgendwie passierte nichts. Außer dass sich die Pharmazeuten rund um den Platz die Hände rieben, weil der Absatz von Aspirin und Ohropax in zehn Jahren Presslufthämmerei enorm gewesen sein muss. Irgendwann wurden sie tatsächlich fertig. Doch jetzt will sich die Nachbarschaft nicht recht mit der radikalen Architektur von Alberto Viaplana anfreunden – zu monströs sind die modernen Laternen, und die Skulpturen, die er auf dem Platz hinterlassen hat, sehen aus, als hätte er ein Stück Hafen in die Stadt verlagert. Viaplana wollte mit riesigen Streben einen achtundzwanzig Meter hohen Wasserkanal darstellen: den Suez-Kanal, den Ferdinand de Lesseps gebaut hatte … Bei solchen Ideen frage ich mich immer, woher die Leute bloß die Zeit nehmen sollen, um so intensiv um die Ecke zu denken?
    Nicht, dass man Lesseps nicht ehren sollte. Er war im neunzehnten Jahrhundert Konsul in Barcelona gewesen, als es einen Aufruhr gegen Steuererhöhungen gab und die Stadt vom spanischen Militär bombardiert wurde. Lesseps bot vielen Bewohnern Zuflucht. Aber die heutigen Nachbarn beschweren sich zu Recht über den Anblick des nach ihm benannten Platzes, schließlich war ihnen etwas anderes versprochen worden. Mehr Grün zum Beispiel, wie früher, als man sich hier noch auf schattigen Bänken ausruhen konnte. Und nicht dieser ganze Stahl, der nur notdürftig mit ein bisschen Holz verkleidet wurde.
    Heute eilt man, wie auch ich, besser gleich weiter und ist im Nu in dem Viertel mit den lauschigsten Plätzchen angelangt: Gràcia, wo ich mit Xavi verabredet bin,
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