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Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Titel: Ein Tag in Barcelona (German Edition)
Autoren: Daniel Brühl , Javier Cáceres
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niña /
Y quiero que vengas commigo /
A cualquier otra parte …«
»Ein einfacher Song /
Drei Noten und eine Fahne /
So weiß wie das Herz /
Das in deinem Kinderkörper schlägt /
Und ich möcht, dass du mit mir /
irgendwo anders hinkommst …«
    Eine Hymne der barcelonesischen Band Dorian, ein Popsong wie eine eisgekühlte Zitronenlimoflasche, die man sich am Strand bei gleißendem Sonnenlicht an die Stirn hält.

    An den herrschaftlichen, zum Teil atemberaubend schön verzierten Villen rausche ich vorbei und spiele ein imaginäres Monopoly. »Die hätt᾽ ich gern! Ooohh, du bist auf meine Schlossallee gekommen, das tut mir wahnsinnig leid, aber dann musst du mir jetzt ’ne Million zahlen und mir deinen Bahnhof Sants geben. Oder nee! Lieber den anderen: ›Estació de França!‹«
    Dort, am schönen, alten Jugendstil-Bahnhof am anderen Ende der Stadt, ganz in der Nähe der Barceloneta, bin ich mit meiner Mutter nach gefühlten drei Jahren Zugfahrt angekommen, wenn mein Vater erst später Urlaub machen und wir deswegen nicht mit dem Auto fahren konnten. Das kam schon mal vor, er arbeitete als Regisseur beim Westdeutschen Rundfunk und war deshalb zu den »normalen« Ferienzeiten nicht immer abkömmlich. Köln, Paris, Montpellier, Portbou und Estació de França, das war dann unsere Tour.
    Die Strecke durch Südfrankreich bis zu den Pyrenäen habe ich geliebt. Ich habe die Nase an die Scheibe des Schlafabteils gepresst, die okzitanische Abendluft eingesogen und über die hübschen Dörfer, die dunkelgelben Lichter der Straßenlaternen und die Platanenalleen gestaunt.
    »Auf der anderen Seite ist es nicht so schön, warum nur?«, fragte ich meine Mutter, wenn wir noch in Frankreich waren; und womöglich stieß ich ihr damit ins Herz. Schließlich ist meine Mutter ja im spanischen Teil Kataloniens groß geworden, in Lleida, nahe der Pyrenäen, und dann in Barcelona. Aber die Frage war nur logisch: Wenn man nach Barcelona hineinfuhr, sah man unmittelbar vor der Ankunft die hässlichste Seite überhaupt. Armenviertel, die jeder Beschreibung spotteten, dunkle Mietskasernen, finstere, unglückliche Gestalten.
    Ein Freund berichtete mal halb belustigt, halb angewidert von Ärschen, die aus den Fenstern hingen, weil es in den Häusern keine Toiletten gab. Auch aus den Zügen selbst erinnere ich mich noch an so manche Menschen vom unteren Ende der Leiter: spanische Emigranten mit aschfahlen Gesichtern, die nach langen Monaten in der Schweiz, Deutschland oder Frankreich endlich wieder nach Hause zurückkehrten, mit vollen Koffern und ein paar dünnen Bündeln aus Mark- und Franken-Scheinen – für die Daheimgebliebenen ein unglaublicher Reichtum.
    Deswegen also, sagte meine Mutter, sei es hier nicht so schön: »Weil’s ein anderes Land ist. Ärmer. Aber auch sehr schön. Wenn du älter bist, wird es dir besser gefallen, dann wirst du es verstehen, wirst sehen«, sagte meine Mutter, und sie behielt recht.
    Wie so oft.
    Überhaupt gibt es so einiges, was ich erst jetzt begreife. Welch klangvollen Namen dieser Bahnhof in den Ohren vieler Katalanen hat, davon wusste ich lange Zeit nichts.

    Estació de França, Frankreichbahnhof, hieß das weiße, monumentale Gebäude mit seinen schweren Eisenstreben im Innern ja deshalb, weil man von dort ins Nachbarland fahren konnte. Ins freie Europa. Zum Beispiel, um die Zeitungen und Bücher zu kaufen, die vom Diktator Francisco Franco verboten worden waren, der von 1939 bis 1975 das Land in eiserner Faust gefangen hielt. »Subversiv«, so lautete das Stigma, das solche Medien trugen, die man nur jenseits der Pyrenäen erwerben konnte. Manche gingen in Frankreich auch bloß ins Kino, um die Filme zu sehen, die von den Sittenwächtern des verknöcherten, nationalkatholischen Spaniens zensiert worden waren. Eine ganze Generation von Katalanen machte sich in den Siebzigern auf, um Marlon Brando und Maria Schneider in »Der letzte Tango in Paris« zu sehen, der für die damaligen spanischen Verhältnisse viel zu erotisch war. Und wenn sie nach Barcelona zurückkehrten, stiegen sie an der Estació de França aus. So wie wir, Jahre später.
    An bestimmte Düfte kann ich mich seit jener Zeit sehr genau erinnern. Der beißende Geruch des spanischen Reinigungsmittels Lejía etwa, der einem bis heute in fast jeder Gaststätte entgegenweht, wenn man gerade in sein Steak sticht. Oder die Colonia Nenuco, ein Kölnisch Wasser, das den Kindern von ihren Kindergärtnerinnen und sonntags von den
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