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Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher

Titel: Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
Autoren: Robin Hobb
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KAPITEL 1
    DIE ANFÄNGE
    E ine Chronik der Sechs Provinzen ist notwendigerweise auch eine Chronik ihres Herrschergeschlechts, der Weitseher. Eine vollständige Aufzeichnung würde bis in die Zeit vor der Gründung des ersten Herzogtums zurückreichen und von Outislandern berichten, die als Piraten zu diesen Gestaden gelangten und sie einladender ten, die als Piraten zu diesen Gestaden gelangten und sie einladender fanden als die eisigen Küsten der Fernen Inseln, woher sie kamen. Jedoch sind die Namen jener frühesten Vosrfahren in Vergessenheit geraten.
    Wie auch von dem ersten wirklichen König kaum mehr als sein Name und einige fantasievoll ausgeschmückte Sagen künden. Als Nehmer steht er in den Annalen verzeichnet, schlicht und einfach, und vielleicht begann damit die Tradition, dass den Töchtern und Söhnen seines Geschlechts Namen gegeben wurden, die ihr Leben und ihren Charakter prägen sollten. Der Volksglaube behauptet, bei der Namensgebung sei Magie im Spiel, und diese Sprösslinge königlichen Blutes könnten ein Leben lang nicht wider die Tugend handeln, nach der sie benannt waren. Durch Feuer getragen, in Salzwasser getaucht und dem freien Wind dargeboten - so wurden die Kinder mit ihrem Namen verbunden. Erzählt man. Ein hübscher Glaube, und es mag
sein, dass es einst ein solches Ritual gab, aber die Geschichte zeigt, dass es nicht immer genügt hat, um ein Kind der Tugend zu verpflichten, auf die es getauft war …
     
    Die Feder entgleitet meinen knorrigen Fingern und hinterlässt eine geschlängelte Linie auf Fedwrens Papier. Ein weiterer Bogen des kostbaren Materials einem, wie ich befürchte, sinnlosen Unterfangen geopfert. Ich frage mich, ob ich diese Chronik schreiben kann oder ob jede Seite insgeheim von einer Bitterkeit getränkt sein wird, die ich längst überwunden glaubte. Zwar halte ich mich für befreit von dem Groll, doch sobald ich die Feder ansetze, blutet mit der Meerestinte der Schmerz eines Knaben auf das Papier, bis mir jeder sorgfältig gemalte schwarze Buchstabe wie Schorf eine alte, purpurne Wunde zu verdecken scheint.
    Sowohl Fedwren als auch Philia legten so große Begeisterung an den Tag, wann immer das Thema einer geschriebenen Geschichte der Sechs Provinzen zur Sprache kam, dass ich mir einredete, die Verfassung einer solchen wäre ein lohnendes Unterfangen. Ich sagte mir, die Arbeit würde mich von meinem Schmerz ablenken und dazu beitragen, dass die Zeit schneller verginge. Doch jedes historische Ereignis, mit dem ich mich befasse, erweckt unfehlbar meine dunklen Erinnerungen von Einsamkeit und Verlust. Ich fürchte, ich habe keine andere Wahl, als entweder diese Arbeit ganz aufzugeben oder mich den Erinnerungen an all das auszuliefern, das mich zu dem gemacht hat, der ich bin. Unschlüssig beginne ich wieder und wieder von neuem, nur um jedes Mal festzustellen, dass ich von meinen eigenen, statt den Anfängen dieses Landes berichte. Ich weiß nicht einmal, wem ich mich zu offenbaren versuche. Mein Leben ist ein
Netz von Geheimnissen gewesen; Geheimnissen, die selbst jetzt noch besser im Dunkeln blieben. Soll ich sie alle dem geduldigen Papier anvertrauen, auf dass daraus Feuer und Asche entstehen? Vielleicht.
    Mein Blick in die Vergangenheit reicht bis zu meinem sechsten Lebensjahr zurück. Davor ist nichts, eine absolute Leere, die keine Anstrengung meines Bewusstseins je zu füllen vermochte - als hätte ich erst an jenem Tag in Mondesauge zu existieren begonnen. Doch an dem Zeitpunkt setzt die Erinnerung schlagartig ein, mit einer Schärfe und Deutlichkeit, die mich überwältigt, aber auch Zweifel weckt an ihrer Glaubwürdigkeit. Entstammen die Bilder meinem eigenen Gedächtnis oder den dutzendfachen Wiederholungen aus dem Mund von Mägden, Küchenjungen und Stallburschen, die sich gegenseitig meine Anwesenheit erklärten? Vielleicht habe ich die Geschichte so oft gehört und von so vielen Seiten, dass ich sie für meinen ureigenen Besitz halte. Lassen sich die vielen Einzelheiten dadurch erklären, dass ein Junge von sechs Jahren mit offenen Augen und Ohren alles ringsum in sich aufgenommen hat? Oder ist die Präzision der Erinnerungen eine Auswirkung der Gabe und der späteren Drogen, die ein Mann nimmt, um seine Sucht zu beherrschen, und die ihrerseits Schmerzen und Abhängigkeiten erzeugen? Letzteres ist durchaus möglich, sogar wahrscheinlich. Aber ich hoffe, es verhält sich nicht so.
    Die Erinnerungen sind beinahe körperlich: das frostige Grau des zu Ende
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