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Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher

Titel: Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
Autoren: Robin Hobb
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gehenden Tages, der schneidende Wind, der meine Kleidung durchdrang, das nassglänzende Kopfsteinpflaster der Straßen in der fremden Stadt, selbst die hornige Rauheit der großen Hand, die meine kleine umfasst hielt. Wenn ich über den Griff dieser Hand nachdenke, so war er nicht grob, nicht
unduldsam. Nur fest. Er ließ mich nicht auf dem glatten Pflaster ausrutschen, ließ mich aber auch spüren, dass es kein Entkommen gab. Er war unerbittlich wie der kalte Regen, der den zertrampelten Schnee auf dem Kiesweg vor dem Portal des festungsähnlichen Gebäudes mitten in der Stadt mit einer glitzernden Eisschicht überzog.
    Das Portal war hoch, nicht nur für einen Knirps von sechs Jahren, sondern wie für ein Geschlecht von Riesen gemacht, so dass selbst der hagere alte Mann, der mich weit überragte, davor klein wirkte. Und es kam mir fremd vor, obwohl ich keine Vorstellung davon habe, welche Art von Eingang oder Behausung mir damals vertraut gewesen wäre. Ich weiß nur, diese eisenbeschlagene Flügeltür, geschnitzt und verziert mit einem Bockskopf und einem Klopfer aus Messing, gehörte zu Dingen außerhalb meines Erfahrungsbereichs. Graupel und Schneematsch hatten meine Kleidung durchnässt, auch die Schuhe. Dennoch kann ich mich an keinen weiten Fußmarsch durch diese letzten Unbilden des Winters entsinnen, oder dass mich jemand getragen hätte. Nein, hier fängt alles an, vor den Türen der Stadtfestung, meine Kinderhand gefangen in der des großen Mannes.
    Fast mutet es an wie der Beginn zu einem Puppenspiel. Ja, so kann ich es sehen. Der Vorhang teilte sich, und da standen wir vor dem Portal. Der alte Mann hob den Messingklopfer und ließ ihn fallen, einmal, zweimal, dreimal. Wie zur Antwort ertönte eine Stimme, aber nicht aus dem Inneren des Hauses, sondern hinter uns, aus der Richtung, aus der wir gekommen waren. »Vater, bitte«, sagte die Frauenstimme flehend. Ich drehte mich nach ihr um, doch es schneite wieder, ein feines, pulvriges Geriesel, das an Wimpern und Mantelärmeln haften blieb. Gesehen habe ich niemanden, jedenfalls taucht in meiner Erinnerung
kein Gesicht auf. Auch machte ich keinen Versuch, mich loszureißen, noch rief ich: »Mutter, Mutter!« Wie ein Zuschauer stand ich da, lauschte dem Klang schwerer Schritte im Haus und der Entriegelung der Tür.
    Ein letztes Mal rief sie. Ich habe die Worte noch im Ohr, die Verzweiflung in einer Stimme, die sich für mich heute jung anhören würde. »Vater, bitte, habt Erbarmen!« Die Männerhand, welche die meine hielt, verkrampfte sich, ob vor Zorn oder aus einem anderen Gefühl heraus, vermag ich nicht zu sagen. Behände, wie eine Krähe ein zu Boden gefallenes Stück Brot aufpickt, bückte sich der alte Mann, schnappte sich einen gefrorenen Schneebrocken und warf ihn in Richtung der Stimme - ohne jede Warnung und mit solcher Kraft und Erbitterung, dass ich mich ängstlich duckte. Ich erinnere mich an keinen Schrei und an kein Geräusch eines getroffenen Körpers. Nur daran, wie die Türflügel nach außen schwangen, so dass der alte Mann gezwungen war, hastig einen Schritt zurückzutreten, während er mich hinter sich herzog.
    Und da war noch etwas. Der Mann, der die Tür öffnete, war nicht etwa ein Dienstbote, wie er mir in meiner Vorstellung vorschwebte, als hätte ich die Geschichte nur erzählt bekommen. Nein, vor meinem inneren Auge sehe ich einen bewaffneten Wächter, einen Krieger, der in Ehren ergraut und etwas zu füllig um die Leibesmitte war, aber nichts mit einem wohl gesitteten Diener zu tun hatte. Er musterte uns beide, den alten Mann und mich, mit dem routinierten Argwohn des Veteranen und wartete dann schweigend ab, dass wir unser Anliegen vorbrachten.
    Ich glaube, dieser Empfang verwirrte den alten Mann etwas und erregte seinen Unmut, denn plötzlich ließ er meine Hand los, packte mich stattdessen am Kragen und schwenkte mich
nach vorn, als wäre ich ein Welpe, den er einem möglichen neuen Eigentümer zur Begutachtung präsentierte. »Ich bringe euch den Jungen«, sagte er mit rauer Stimme.
    Und als der Türhüter ihn weiter nur anschaute, kommentarlos, ohne den geringsten Anflug von Interesse, holte er zu einer längeren Erklärung aus. »Ich habe ihn sechs Jahre lang unter meinem Dach beherbergt, und nie ein Wort von seinem Vater, kein roter Heller, kein Besuch, obwohl meine Tochter mir zu verstehen gegeben hat, er wüsste von dem kleinen Bastard. Ich werde ihn nicht länger durchfüttern und mir nicht am Pflug den Rücken
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