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Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben
Autoren: Leonardo Padura
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Bescherung seines jüngsten Schiffbruchs. Er überlegte, ob er die Unterhose wegräumen, das Hemd auf den Bügel hängen, seine alte Jeans glatt streichen und die Ärmel seines Jacketts auf rechts ziehen sollte. Später. Er versetzte der Hose einen Tritt und ging ins Bad, wo er sich daran erinnerte, dass er schon seit einer Ewigkeit pinkeln musste. Im Stehen beobachtete er, wie der kräftige Strahl in der Kloschüssel schäumte wie frisch gezapftes Bier. War es aber nicht, denn der beißende Uringestank stach sogar ihm in die unempfindliche Nase. Als die letzten erleichternden Tropfen ins Wasser fielen, fühlte er sich so schlapp in Armen und Beinen wie ein ausgeleierter Hampelmann, der sich nach einem ruhigen Plätzchen sehnt. Schlafen, vielleicht träumen, dachte er, wenn ich das doch nur könnte.
    Er öffnete das Toilettenschränkchen und suchte die Schachtel mit den Duralginas. In der vergangenen Nacht war er nicht in der Lage gewesen, eine zu nehmen, und nun bereute er dieses unverzeihliche Versäumnis. Er legte drei Tabletten auf die Handfläche und ließ Wasser in ein Glas laufen. Dann warf er die Tabletten in seinen durch die Kotzerei geschundenen Rachen und trank Wasser hinterher. Er schloss das Schränkchen, und im Spiegel zeigte sich ihm das Bild eines Gesichtes, das ihm entfernt bekannt und zugleich unverwechselbar vorkam. Der Teufel, dachte er und stützte sich mit beiden Händen aufs Waschbecken. Rafael Morín Rodríguez, murmelte er, und nun fiel ihm auch wieder ein, dass er eine große Tasse Kaffee brauchte, um nachdenken zu können, und dazu eine Zigarette, die er nicht hatte. Er beschloss, all seine bekannten Sünden unter der stechend kalten Dusche zu büßen.
    »Verdammte Scheiße, so ein Mist«, seufzte er, als er sich aufs Bett setzte, um sich die Stirn mit der wärmenden chinesischen Heilsalbe einzureiben, die ihm das Leben stets erträglicher machte.

Mit Wehmut, die ihm schon etwas zu vertraut zu werden begann, betrachtete El Conde die Hauptstraße seines Viertels, die überquellenden Mülltonnen, die Pizza-Pappen, die der Wind mit sich forttrug, das unbebaute Grundstück, auf dem er Baseball spielen gelernt hatte und das jetzt der Autowerkstatt an der Ecke als Müllhalde diente. Wo lernen die Jungen heutzutage Baseball spielen? Der Morgen war wunderbar mild, so wie er es vorausgefühlt hatte, und er genoss es, mit dem Kaffeegeschmack im Mund durch die Straßen zu wandern; doch da sah er den überfahrenen Hund mit dem zerquetschten Kopf, der neben dem Bordstein vor sich hin faulte, und er dachte, dass ihm immer die schlimmsten Dinge auffallen mussten, sogar an einem Morgen wie diesem. Er beklagte das Schicksal des unglücklichen Tieres, das ihn schmerzte wie eine Ungerechtigkeit, die zu beseitigen ihm nicht möglich war. Schon seit ewigen Zeiten, seit dem langen Todeskampf des alten Robin, hatte er keinen Hund mehr. Er hatte das Versprechen, sein Herz nie wieder an ein Tier zu hängen, gehalten, bis er sich für die schweigsame Gesellschaft eines Kampffisches entschied, den er immer wieder Rufino nannte – nach seinem Großvater, dem Züchter von Kampfhähnen –, Fische ohne Ticks und ausgeprägte Persönlichkeit, die er, wenn einer starb, durch ein gleichartiges Exemplar ersetzen konnte, das wiederum Rufino getauft und in dasselbe Aquarium gesperrt wurde, wo es stolz mit seinen verschwommen blauen Kampftierflossen umherschwamm. Er hätte es gerne gesehen, wenn die Frauen ebenso problemlos gekommen und gegangen wären wie diese Fische ohne Vergangenheit. Doch Frauen und Hunde waren so furchtbar anders als Fische, selbst Kampffische, und zu allem Übel konnte er bei Frauen kein Abstinenzgelübde ablegen, wie er es hinsichtlich der Hunde so standhaft erfüllte. Am Ende, so ahnte er, würde er sich noch einem Schutzverein für streunende Hunde und Männer mit fatalem Hang zu Frauen anschließen.
    Er setzte sich die dunkle Brille auf und ging zur Bushaltestelle. Ihm fiel auf, dass das Aussehen des Viertels wohl seinem eigenen glich: eine Landschaft nach einer verheerenden Schlacht. Und er spürte, dass die empfindsamste Stelle seines Gedächtnisses Risse bekam. Die sichtbare Realität der Straße unterschied sich allzu sehr von dem rosaroten Bild seiner Erinnerung, einem Bild, von dem er sich inzwischen fragte, ob es wirklich real war oder er es möglicherweise den nostalgischen Erzählungen seines Großvaters verdankte. Oder ob er selbst es ganz einfach erfunden hatte, um die Vergangenheit zu
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