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Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben
Autoren: Leonardo Padura
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Größe: ca. 180 cm. Die AE erklärt: Nach einer gemeinsamen Neujahrsfeier mit Arbeitskollegen und Freunden kehrten die AE und ihr Ehemann Rafael Morín Rodríguez nach Mitternacht in ihr gemeinsames Haus zurück. Nachdem sie sich vergewissert hatten, dass der gemeinsame Sohn in seinem Zimmer schlief, zusammen mit der Mutter der AE, gingen sie in ihr Schlafzimmer und legten sich zu Bett. Am darauffolgenden Morgen, als die AE aufwachte, hielt sich Rafael Morín Rodríguez nicht mehr im Haus auf worüber sich die AE zunächst jedoch keinerlei Gedanken machte, da er in der Vergangenheit häufiger das Haus verlassen hatte, ohne sie zu informieren. Gegen Mittag, jetzt bereits etwas beunruhigt, rief die AE verschiedene Freunde und Arbeitskollegen sowie das Unternehmen, in dem ihr Mann arbeitet, an, erhielt aber keinerlei Hinweise auf seinen derzeitigen Aufenthaltsort. Zu diesem Zeitpunkt machte sie sich bereits Sorgen, da ihr Ehemann weder das Privatauto (Lada, amtl. Kz: HA 11.934) noch das des Unternehmens (z. Zt. in der Werkstatt) benutzt hatte. Im Laufe des Nachmittags riefen die AE und René Maciques Alba, ein Arbeitskollege des Vermissten, in verschiedenen Krankenhäusern an, ohne Ergebnis, und fuhren dann zu weiteren Krankenhäusern, die sie telefonisch nicht erreichen konnten, jedoch ebenfalls ohne Ergebnis. Um 21.35 Uhr erschienen auf hiesiger Dienststelle die AE und René Maciques Alba, um das Verschwinden von Rafael Morín Rodríguez anzuzeigen.
    Wachhabender Beamter: Lincoln Capote, Sargento
    Anzeige Nr. 16-0101-89
    Leiter der Dienststelle: Jorge Samper, Primer Teniente Anlage 1: Foto des Vermissten
    Anlage 2: Persönliche und berufliche Daten des Vermissten Weitergeleitet zur Bearbeitung Dringlichkeitsstufe 1 Polizeidirektion Havanna Stadt
     
    Er sah Tamara vor sich, wie sie Anzeige erstattete, und schaute sich wieder das Foto des Vermissten an. Es war wie ein Köder, der ferne Erinnerungen aufwühlte, Tage, die er vergessen wollte, nostalgische Gräber. Das Foto glänzte, es war wohl erst vor kurzem aufgenommen worden. Doch auch wenn der Mann auf dem Foto zwanzig Jahre alt gewesen wäre, wäre er heute immer noch dieselbe Person. Sicher? Sicher. Er schien immun gegen die Wechselfälle des Lebens, liebenswürdig auch auf Passbildern, frei von Schweiß, Akne und Fett, von der dunklen Bedrohung des Bartwuchses, ausgestattet mit dem gewissen Etwas eines makellosen, vollkommenen Engels. Zurzeit allerdings galt er als vermisst, ein alltäglicher Fall für die Polizei, eine Arbeit für Mario Conde, die dieser lieber nicht hätte erledigen wollen. Was war da los, verdammt noch mal?, fragte er sich beim Verlassen des Büros. Er verspürte keinerlei Verlangen, den Bericht mit den persönlichen und beruflichen Daten des untadeligen Rafael Morín Rodríguez durchzulesen. Vom Fenster seines eigenen kleinen Büros konnte er einen Ausblick genießen, der ihm wie ein impressionistisches Gemälde vorkam: die von uralten Lorbeerbäumen gesäumte Straße, diffuse grüne Flecken im Sonnenlicht, die im Stande waren, das Brennen in seinen Augen zu lindern; eine bedeutungslose kleine Welt, deren Geheimnisse er allesamt kannte und an der ihm jede Veränderung auffiel: ein neues Spatzennest, ein absterbender Ast, die Erneuerung des Laubes, die durch die dunkle Färbung der immergrünen Blätter angekündigt wurde. Hinter den Bäumen eine Kirche mit hohen Gittern und glatten Außenmauern sowie einige nur undeutlich zu erkennende Gebäude. Und schließlich, ganz hinten, das Meer, das man nur als Lichtfleck und als Geruch wahrnehmen konnte. Die Straße war leer und warm und sein Kopf so gut wie leer und ein wenig benebelt. Wie gerne, dachte er, säße er unter diesen Lorbeerbäumen und wäre noch einmal sechzehn Jahre alt, einen Hund an seiner Seite, den er streicheln, und eine Freundin, auf die er warten könnte. Dann, einfach so dasitzend, wäre er rundum glücklich, jede Wette, so glücklich, wie man nur sein kann, was er schon beinahe vergessen hatte. Und vielleicht würde es ihm sogar gelingen, seine Vergangenheit, die ja seine Zukunft wäre, in Ordnung zu bringen und sich auszumalen, wie sein Leben verlaufen werde. Der Gedanke faszinierte ihn, denn dann würde er versuchen, es anders zu gestalten. Jene lange Kette von Irrtümern und Zufällen, die seine Existenz bestimmt hatte, würde sich nicht wiederholen; es müsste eine Möglichkeit geben, sie zu unterbrechen oder wenigstens zu korrigieren und einen anderen Weg, das heißt,
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