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Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben
Autoren: Leonardo Padura
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ein anderes Leben auszuprobieren. Sein Magen hatte sich inzwischen so einigermaßen beruhigt. Er wünschte sich, den Kopf freizuhaben, um sich in diesen Fall zu stürzen, der ihn in die Vergangenheit führte und ihn aus der friedlichen Willenlosigkeit riss, die er sich fürs Wochenende erträumt hatte. Er drückte die rote Taste der Gegensprechanlage und verlangte, man solle Sargento Palacios zu ihm schicken. Vielleicht, so dachte er, konnte er von Manolo lernen. Zum Glück gab es Leute wie ihn, so dachte er weiter, denen es gelang, die tägliche Arbeitsroutine durch ihre bloße Anwesenheit und ihren Optimismus aufzulockern. Manolo war ein guter Freund, erwiesenermaßen verschwiegen und fleißig, aber ohne Hektik. Mario Conde zog ihn allen anderen Sargentos und den übrigen Ermittlern der Kripo vor.
    Er sah den größer werdenden Schatten hinter der Glasscheibe, und dann trat Sargento Manuel Palacios ohne anzuklopfen ein.
    »Ich dachte, du wärst noch nicht da«, sagte Manolo und setzte sich in einen der Sessel vor Condes Schreibtisch. »Was für ein Leben, Bruder. Scheiße, du hast heute aber dein verschlafenes Gesicht aufgesetzt!«
    »Du kannst dir nicht vorstellen, wie hackevoll ich gestern war. Furchtbar!« Beim bloßen Gedanken daran zog sich Mario der Magen zusammen. »Die alte Josefina hatte Geburtstag, wir haben mit Bier angefangen, ich hatte welches besorgt, danach gabs zum Essen Rotwein, so ’n scheiß-rumänischen, kam aber gut, und hinterher hat der Dünne ’ne Flasche Añejo geköpft, die er eigentlich seiner Mutter geschenkt hatte. Als der Alte mich heute Morgen anrief, wär ich fast gestorben.«
    »Maruchi sagt, der Alte ist sauer auf dich gewesen, weil du einfach aufgelegt hast.« Manolo grinste und rutschte tiefer in den Sessel zurück. Er war gerade mal fünfundzwanzig und hatte Probleme mit der Wirbelsäule. Keine Sitzgelegenheit war für seinen knochigen Hintern geeignet, und er konnte nicht lange stehen, ohne ein paar Schritte zu gehen. Mit seinen langen Armen und dem hageren Körper bewegte er sich wie ein wirbelloses Tier. Von den Leuten, die der Teniente kannte, war er der Einzige, der sich in den Ellbogen beißen und über die Nase lecken konnte. Sein Gang war wie ein Schweben, und wenn man ihn so sah, hielt man ihn für schwächlich, sogar zerbrechlich, und bestimmt für jünger, als er war.
    »Der Alte ist nervös«, sagte der Teniente, »er kriegt nämlich auch Anrufe, von oben.«
    »Wohl ein schwieriger Fall, was? Mich hat er auch angerufen, höchstpersönlich.«
    »Nicht nur schwierig, sondern vor allem heikel. Hier, nimm das mit«, sagte Mario Conde und ordnete die Aktenblätter, »lies das durch, in einer halben Stunde fahren wir los. Ich muss noch darüber nachdenken, wie wirs am besten anpacken.«
    »Du kannst schon wieder denken?«, fragte der Sargento und verließ mit seinem federnd leichten Gang das Büro.
    El Conde blickte auf die Straße hinunter und lächelte. Ja, er konnte schon wieder denken, und er dachte, dass der Fall eine Bombe war. Er ging zum Telefon und wählte. Das metallische Klingeln am anderen Ende erinnerte ihn an sein furchtbares Erwachen.
    »Hallo«, hörte er eine Frauenstimme sagen.
    »Jose, ich bins.«
    »Sag mal, mein Kleiner, wie geht es dir heute Morgen?«, fragte die Frauenstimme. Sie hörte sich fröhlich an.
    »Frag mich besser nicht! Aber es war doch ein schöner Geburtstag, oder? Was macht der Bär?«
    »Ist noch nicht aufgewacht.«
    »Manche Leute haben ein Glück … «
    »Sag mal, was ist los? Von wo rufst du an?«
    Er seufzte und sah wieder auf die Straße, bevor er antwortete. Die wärmende Sonne stand nach wie vor am blanken Himmel. Ein Samstag, wie er ihn selbst nicht hätte besser machen können. Zwei Tage zuvor hatte er einen Fall abgeschlossen, ein Devisenvergehen, das ihn mit endlosen Fragezeichen zur Verzweiflung gebracht hatte. Eigentlich wollte er am Wochenende bis in die Puppen schlafen. Und jetzt verschwand dieser Kerl!
    »Aus dem Brutofen, Jose«, jammerte er. Damit meinte er sein kleines Büro. »Bin in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett geklingelt worden. Es gibt keine Gerechtigkeit für uns Gerechte, meine Liebe, ich sags dir.«
    »Dann kommst du also nicht zum Mittagessen?«
    »Sieht ganz so aus. Sag mal, was muss ich da durchs Telefon riechen?«
    Die Frau lachte. Sie kann immer lachen, diese wunderbare Frau!
    »Das, was du dir entgehen lässt, mein Junge.«
    »Something special?«
    »Nein, nothing special, aber sehr lecker.
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