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Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben
Autoren: Leonardo Padura
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jemand durchs Telefon zu sagen hatte, und ließ seine Zigarre nervös von einem Mundwinkel in den anderen wandern. Mit den Augen deutete er auf die Akte, die offen vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Der Teniente schloss die Tür, setzte sich seinem Chef gegenüber und wartete auf das Ende des Telefongesprächs. Der Mayor hob die Augenbrauen, stieß ein knappes »Verstanden, ja, heute Nachmittag« hervor und legte auf.
    Dann betrachtete er verstört das malträtierte Ende seiner Davidoff. Er hatte die Zigarre übel zugerichtet. Zigarren sind nachtragend, pflegte er zu sagen, und bestimmt würde diese hier nicht mehr so gut schmecken. Rauchen und jünger aussehen waren seine erklärten Leidenschaften, denen er sich mit fachmännischer Gründlichkeit widmete. Stolz verkündete er sein Alter, achtundfünfzig, wobei er mit seinem faltenlosen Gesicht lächelte und über seinen Fakir-Bauch strich. Seine Uniform war knapp geschnitten, die grauen Schläfen schienen eine jugendliche Laune zu sein. Seine freien Abende verbrachte er zwischen Swimmingpool und Squash-Halle, auch hier mit der Zigarre im Mund. Mario Conde beneidete ihn sehr. Er wusste, dass er selbst mit sechzig Jahren – falls ich überhaupt so alt werde! – ein arthritischer, wunderlicher Greis sein würde, und deswegen beneidete er den Mayor um seine offensichtliche Fitness. Nicht mal husten musste er vom Zigarrenrauchen. Obendrein beherrschte er alle Tricks, die ein guter Chef beherrschen muss: sehr liebenswürdig oder sehr autoritär, je nach Belieben. Das Furchterregendste an ihm war zweifellos seine Stimme. Die Stimme ist der Spiegel der Seele, dachte Mario Conde immer, wenn er auf die Nuancen in Tonfall und Strenge achtete, derer sich der Mayor im Gespräch bediente. Jetzt aber hatte er eine malträtierte Davidoff zwischen den Fingern und ein Hühnchen mit einem Untergebenen zu rupfen, und so griff er auf eine seiner schlimmsten Kombinationen von Stimme und Tonfall zurück.
    »Ich will mich mit dir nicht über das von heute Morgen streiten, aber eins sag ich dir, so was lass ich mir nicht noch einmal bieten! Bevor ich dich kannte, war mein Blutdruck normal, und du wirst es nicht schaffen, dass ich an einem Infarkt sterbe. Nicht umsonst schwimme ich regelmäßig und schwitze beim Squash wie ein Affe. Ich bin dein Vorgesetzter, und du bist Polizist, häng dir das übers Bett, damit dus auch im Schlaf nicht vergisst. Beim nächsten Mal gibts was auf die Eier, klar? Schau auf die Uhr, fünf nach zehn! Okay?«
    Mario Conde senkte den Blick. Ihm fielen ein paar gute Witze ein, doch er wusste, dass dies nicht der richtige Moment dafür war. Überhaupt war beim Alten nie der richtige Moment, was er sowieso schon oft genug ignorierte.
    »Die Davidoff ist ein Geschenk von deinem Schwiegersohn, hast du gesagt, ja?«
    »Ja, eine 25er-Kiste zu Neujahr. Aber komm nicht vom Thema ab, ich kenn dich«, und wieder betrachtete er verständnislos das rauchende Etwas, das in den letzten Zügen lag. »Die ist hin … Also, soeben hab ich mit unserem Industrieminister gesprochen, er macht sich große Sorgen wegen dieser Angelegenheit. Ich glaub, er ist ganz außer sich. Sagt, Rafael Morín sei ein wichtiger Kader in der Ministeriumsspitze und habe mit zahlreichen Unternehmern aus dem Ausland zu tun, und deswegen will er einen Skandal vermeiden.« Der Alte machte eine Pause und zog an seiner Zigarre.
    »Hier ist alles, was wir bisher zusammengetragen haben«, fügte er hinzu und schob die Akte seinem Untergebenen zu.
    Mario Conde nahm die geschlossene Akte in die Hand. Ihm schwante, dass sie eine Art Büchse der Pandora sein könnte, und er verspürte keinerlei Lust, die Dämonen der Vergangenheit aus ihr zu befreien.
    »Warum hast du ausgerechnet mich für den Fall ausgesucht?«, fragte er.
    Der Alte zog wieder an seiner Zigarre. Er schien auf eine überraschende Erholung der Havanna zu hoffen. Tatsächlich bildete sich eine gleichmäßige, gesunde fahle Asche an der Spitze, und er zog behutsam, gerade so viel, um die Glut nicht ausgehen zu lassen und die empfindliche Einlage nicht zu schädigen.
    »Ich werde jetzt nicht wiederholen, was ich dir vor einiger Zeit mal gesagt habe, nämlich dass du der Beste bist oder einen Riesendusel hast und dir alles gelingt. Bilde dir das bloß nicht ein, das ist vorbei, okay? Was hältst du davon, wenn ich dir sage, dass ich dich ausgewählt habe, weil ich es so wollte oder weil ich finde, dass du besser hier aufgehoben bist als zu Hause, wo
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