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Ein Mensch wie Du

Ein Mensch wie Du

Titel: Ein Mensch wie Du
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vorsingen«, dachte er immer wieder. »Ich werde mich nicht blamieren! Ich werde an Professor Glatt schreiben, daß ich kein Sänger werden möchte … Ich bin Gärtner, und ich bleibe es! Ich habe es Vater versprochen, und ein Wortbruch wäre eine Gemeinheit vor dem Glauben des Sterbenden.«
    Aber noch während er fuhr und der Fahrtwind ihm ins Gesicht peitschte, während es zu regnen begann und die Tropfen ihm zwischen den Kragen in den Hals rannen, durchzogen sein Inneres die Melodien, die er hinter sich als nüchterne Noten in der Tasche nach Hause fuhr.
    Er stellte das Motorrad in den Schuppen und saß dann in dem kleinen Haus neben den Gewächshäusern am Tisch, die Schreibtischlampe nahe herangezogen, und schlug die ersten Notenblätter auf.
    Den Violin- und Baßschlüssel kannte er, aber er konnte sich nur mehr vage entsinnen, was die kleinen Bes und die Kreuzchen vor den Noten zu bedeuten hatten. Gewiß, sie geben die Tonart an … Aber welche? Er erinnerte sich, diese Zeichen und ihre Bedeutung auf den fünf Notenlinien gelernt zu haben … Es war in der Quinta, oder war es die Quarta …? Jedenfalls war es lange her, und er hatte Krieg spielen müssen, statt sich um die Notenschrift zu kümmern.
    Zaghaft versuchte er, nach den Noten zu singen. Die Arien kannte er auswendig; er sang sie mit dem Radio einwandfrei … Aber jetzt, wo er die Noten vor sich sah, wo er sich bemühte, diese Melodien nach den Noten zu singen, war alles anders, fremd, unbekannt. Wo er die Töne festhielt, sieghaft, begeisternd, da stand in den Noten eine Pause; wo er schmelzend die Übergänge nahm, standen die Noten aneinandergereiht ohne besondere Zeichen. Auch der Text war an einigen Stellen anders, nur ein paar Worte; aber schon das genügte, ihn unsicherer zu machen als je zuvor.
    Er schlug die Notenblätter zu und warf sie in eine Ecke.
    »Nein!« sagte er laut. »Ich singe nicht! Ich bin glücklich mit dem Leben, das ich führe! Nein!«
    Er löschte das Licht und saß wieder in der Dunkelheit am Fenster. Von Köln herüber war der Himmel fahl … Dort lag die Riesenstadt, ein Schwamm, der auch ihn ansaugen würde, wenn er am Donnerstag vor Professor Glatt stand.
    Donnerstag, 11 Uhr.
    Greta Sanden hatte sich diesen Vormittag freigenommen und stand nun hinter den Bäumen der Rheinpromenade. Sie wartete auf die Straßenbahn, aus der Franz Krone steigen mußte. Ihr gegenüber lag in einem Garten der große Bau des Palais Oppenheim, nach dem Krieg die vorübergehende Heimstätte der Musikhochschule Köln. Eine große, steinerne Terrasse zeigte auf den breiten, träge fließenden Rhein. Hinter ihr führten große Türen in den Festsaal. Aus dem linken Seitenflügel erklang durch ein offenes Fenster Cellomusik, oft unterbrochen durch eine Stimme, die Anleitungen gab, Hinweise, Beispiele. Dann spielte der Unbekannte weiter, immer die gleiche Stelle, immer die gleichen Töne. Eine Schar junger Mädchen kam lachend durch den großen Garten und betrat die Uferpromenade. Sie schwenkten ihre Kollegmappen hin und her. Die langen Haare flatterten im Wind, sie waren geschminkt, ein wenig auffällig angezogen mit sehr knappen Pullovern und engen, dreiviertellangen Hosen.
    Die Straßenbahn … Ratternd näherte sie sich vom Kölner Hafen. Sie hielt in der Ferne, einige Menschen stiegen aus; dann kam sie näher, in den Schienen quietschend.
    Grete stellte sich hinter einen der Bäume und lugte um den Stamm herum auf die Haltestelle vor dem Oppenheim-Palais. Ein Schwarm Musikschüler verließ die Wagen und strömte durch das breite Tor in die Schule. Der Schaffner klingelte ab, die Bahn fuhr weiter …
    Ein großer, schlanker Mann blieb allein an der Haltestelle zurück. Er hatte eine Aktentasche unter dem Arm. Der Wind spielte mit seinen braunen Haaren und dem offenen Staubmantel, den er über dem Arm trug.
    »Mach's gut, Franz«, sagte Greta zu sich selbst und lehnte das Gesicht an die rissige Rinde des Baumes.
    Franz Krone sah den großen Bau an wie ein Gefängnis, in das er gleich eingeliefert würde. Auch er hörte die Cellomusik, die dozierende Stimme, irgendwo ertönte eine Klingel … Ein Klavier begann zu spielen, hüpfend, zierlich, Töne wie Perlen zu einer Kette aufgereiht … »Mozart«, dachte Franz Krone. »Eine Klaviersonate von Mozart …«
    Er trat ein paar Schritte vor an den Eingang des Palais und zögerte dann wieder, den Vorgarten zu betreten. Er sah auf seine Uhr. Ein Viertel vor elf Uhr! Professor Glatt wartete … Als er
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