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Ein Mensch wie Du

Ein Mensch wie Du

Titel: Ein Mensch wie Du
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nichts.«
    »Ich bin ein Gärtner, sonst nichts!« Er stand neben ihr, hager, groß, mit einem kantigen, braunen Gesicht. Die dunkelbraunen Haare fielen ihm in die Stirn und über die Augen. »Ich könnte niemals vorsingen, vor anderen, vielen Menschen … Ich könnte es einfach nicht.«
    Greta legte ihm die Hand auf den Arm. »Es ist gut, Franz«, sagte sie begütigend. Ihre Stimme klang tröstend, mütterlich, merkwürdig gereift in einem Augenblick, in dem sie an der Schwelle eines unbekannten Raumes stand und zögerte, die Tür aufzustoßen, um zu sehen, was hinter ihr verborgen war. »Wir wollen uns doch den schönen Sonntag nicht verderben.«
    Mit dem letzten Omnibus fuhr Greta Sanden zurück nach Köln, in die Wüste aus Trümmern und überwucherten, rauchgeschwärzten Balken. Franz Krone winkte dem Omnibus nach, bis ihn die Dunkelheit aufsaugte und nur noch die vorausjagenden Scheinwerfer die stille Nacht durchschnitten. Dann fuhr er zurück zu seiner Gärtnerei und stand eine Weile sinnend draußen am weiten Drahtzaun.
    Er blickte über die Glashäuser, über die Beete, die Büsche, die blühenden Obstbäume. Er tastete seine Welt ab, die ererbte, nicht die gewünschte. Gärtnerei und Gartenbaubetrieb Franz Krone. Liblar bei Köln. An der Bundesstraße 265, 14 km von Köln entfernt. Seit 1945 Ziel vieler Kölner, sich für ihre Einmachgläser Obst und Gemüse einzutauschen.
    Er lehnte sich an einen Pfosten des Zaunes und sah zurück auf das helle Band der Straße, die gerade, wie eine Rennstrecke, nach Köln hinführte.
    Nach Köln war er jeden Tag in die Schule gefahren … 14 km hin, 14 km zurück. Humboldt-Gymnasium in der Humboldtstraße. Heute ein riesiger Trümmerberg inmitten anderer Trümmer. Planiert das ganze Viertel. Parkplatz. Als schauriges Wahrzeichen dazwischen die hohlen Fenster und der aufgerissene Chor der Kirche.
    In der Klasse. Mathematik. Dr. Dauhn sieht sich um. »Krone, erklären Sie mir die möglichen Kegelschnitte!« Der Schüler Krone schweigt. Dr. Dauhn: »Dann sagen Sie mir wenigstens die Formel für den Inhalt einer Pyramide!« Schweigen. Dr. Dauhn: »Krone, ich bin seit dreißig Jahren Studienrat. Aber so etwas wie Sie in Mathematik habe ich noch nicht erlebt! Ich werde dafür sorgen, daß Sie nicht das Abitur bekommen.« Aber es war Krieg, die Fronten gingen zurück, man schrie nach neuen Truppen.
    In der Musikstunde setzte sich Dr. Wendel an den Flügel in der Aula. Er trug die hellbraune Uniform der Politischen Leiter, er trug sie stolz und mit lauter Stimme. »Heute singen wir wieder einmal, Kerls!« sagte er zackig. »Drei – vier!« Und sie sangen Herms Niel und schlugen das Bumbum mit der Faust auf die Bänke. Begeisterung – Freude. »Sie werden alle das Abitur bekommen …«, sagte Dr. Wendel zufrieden.
    1944 starb der Vater. 1945 kam Franz zurück aus dem Ruhrkessel, weggejagt von den Engländern. »Alle Kinder nach Hause!« sagte der Captain des Lagers. Und er lachte dröhnend, als er das Tor öffnete und die Schar der Jungen verdreckt, ausgemergelt in die Trümmerwüsten hinausgeschickt wurde. Die Jugend des Krieges …
    Die Gärtnerei war verkommen … Er baute sie wieder auf. Er tauschte, handelte für Blumen und Gemüse, für Obst und Samen Maschinen, Glas, Geräte und Dünger ein. Er zimmerte die Dächer selbst, er zerriß sich die umgeschneiderte Offiziersuniform an den Dornen der Hecken – aber er schaffte es, der Notabiturient und Leutnant Franz Krone. Und jetzt stand er hier am Maschenzaun, neben seinem Motorrad, sah über seine drei Morgen Garten hinweg und dachte dabei an die Worte des kleinen Mädchens Greta Sanden, die er liebte, weil sie der einzige Mensch war, zu dem er sagen konnte: »Ich habe Angst.« Nicht Angst vor dem Leben – das Leben kannte er jetzt –, aber Angst vor etwas Unbestimmbarem, das in der Luft lag und drückend auf ihn niederfiel wie Föhn oder Gewitterschwüle.
    Singen … Sollte er wirklich in Köln vorsingen? Professor Glatt lehrte in Köln an der Musikhochschule Gesang, ein bekannter Pädagoge, Lehrer des Belcanto, des italienischen Kunstgesanges. Ein strenger Lehrer, unbestechlich in seinem Gehör, streng gegen seine Schüler, unnachgiebig in seinen Methoden, aus einem Begabten den Künstler zu formen.
    Franz Krone schob seine Maschine in den Schuppen und setzte sich noch auf die alte, grüne Bank mit den häßlichen gußeisernen Füßen. Wovon sollte er das Studium bezahlen? Die Bücher, die Noten, die Konzerte, die er
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