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Ein Mensch wie Du

Ein Mensch wie Du

Titel: Ein Mensch wie Du
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wenn ich die riesigen Ruinenfelder sehe, die geschwärzten Fassaden, die zerrissenen Kirchen, die untergegangene Welt von zwei Jahrtausenden. Ich lebe in meinem Garten und freue mich, wenn die Saat aufgeht, wenn die Tulpen blühen, wenn die Gladiolen schlank aus der Zwiebel brechen. Was soll ich in Köln?«
    »Du solltest deine Stimme prüfen lassen.« Sie sagte es ganz ernst, so ernst daß er verwundert zur Seite sah.
    »Meine Stimme?« Er lachte schüchtern. »Man würde mich auslachen …«
    »Du singst wunderbar … Du weißt das! Warum willst du nicht nach Köln gehen?«
    »Es gibt bessere Sänger als mich. Stelle nur das Radio an … Ich sitze oft davor und höre sie mir an, Peter Anders, Helge Roswaenge, Gigli, Tagliavini, Tauber, Schock, Mario del Monaco, und wenn ich dann die gleichen Arien singe, in meinem Zimmer, dann weiß ich, daß ich gar nicht singen kann … Dann schäme ich mich, daß ich überhaupt singe … Und dann gehe ich zu meinen Blumen zurück und tröste mich. Du bist ja kein Gigli, du bist nur der Gärtner Franz Krone, der von seinem Vater drei Morgen Garten erbte, Gewächshäuser, einen Motorpflug, einen Haufen Gartengeräte, sieben unbezahlte und prolongierte Wechsel und die Verpflichtung, diese Gärtnerei weiterzuführen, um nicht zu verhungern – trotz Abitur, trotz Leutnantspatent 1945, drei Monate vor Schluß … Und dann pflanze, dünge, begieße ich … Singen? Wenn die Sonne scheint, wenn du kommst, Greta, wenn ich glücklich bin … Aber nicht als Beruf … Dazu reicht es nicht.«
    »Aber du solltest doch vorsingen«, sagte sie eigensinnig. Er lachte über diesen Dickkopf und zog sie an sich. Sie wehrte sich plötzlich und sprang aus dem Gras auf. Zierlich, ein wenig rührend in ihrem billigen Frühjahrsfähnchen, aber mit Augen in dem blassen Gesicht, die brannten und von innen heraus zu leuchten schienen, stand sie vor ihm. »Ich komme nicht wieder am Sonntag zu dir, wenn du nicht vorsingst!« sagte sie leise. Ihre Stimme zitterte bei diesen Worten, sie taten ihr leid in dem Augenblick, als sie gesprochen waren, aber sie sagte sie, sie preßte sie heraus in dem Bewußtsein, mit ihnen zu helfen und dem Leben vielleicht eine Richtung zu geben, auf der sie dann gemeinsam in ein fernes, fast traumhaftes Glück schreiten konnten.
    Franz Krone starrte sie groß an. »Ein Ultimatum«, sagte er, zwischen Fröhlichkeit und plötzlichem Ernst schwankend.
    »Nenne es, wie du willst! Ich glaube, du bist zu feige, vorzusingen.«
    »Ja, das bin ich«, sagte er ehrlich.
    »Ach!« Greta schüttelte den Kopf. »Du hast Angst?«
    »Was weiß ich von Singen, von Musik überhaupt?« Er lehnte sich zurück an den Stamm der Kastanie und blickte hinüber zu dem Schloß, das gleißend in der Sonne lag. »Als ich das Abitur machte – das Notabitur, denn wir sollten schnell in den Krieg und die Lücken in Rußland füllen –, wußten wir nichts von dem, was man Musik nennt! Ein paar Lieder, sehr national und zackig, Opernanalysen, die nötigsten Begriffe der Notenlehre, im übrigen aber lange Vorträge über artreine Musik und artfremde Werke … Wen interessierte 1944 noch die Musik?! Das ist jetzt alles anders, Greta – der Mensch besinnt sich wieder auf seine wirklichen Werte, er ist hungrig nach Kunst, nach seelischem Erleben, er ist ein Verdurstender, der plötzlich eine Quelle sieht, die unversiegbar köstlichen Trank schenkt … Und wir, die Kriegsjugend, wir stehen daneben, ausgestoßen, leergebrannt, halbgebildet, aufgewachsen zwischen Kommandos und Heimatabenden, Zeltlagern und Aufmärschen, Phrasen und Terror. Das hat alles nichts mit der Musik zu tun, mit meinem Gesang, das stimmt – aber ich habe keinen Mut mehr, Greta, einfach keinen Mut mehr, etwas anzufangen, wozu man nicht berufen ist. Ich singe, weil es mir Spaß macht … Sollte ich singen, um Geld damit zu verdienen, ich würde keinen Ton mehr hervorbringen. Glaube es mir …«
    Greta Sanden sah Franz mit zur Seite geneigtem Kopf an. Sie dachte – man sah es an ihren Augen, daß sie ernsthaft nachdachte – nicht über das nach, was er gesagt hatte, denn seine Worte, hart, erregt, sich überschlagend, waren an ihr vorbeigerauscht, und sie hatte ihnen gelauscht nur in der Melodie ihres Tonfalls. Jetzt war es still um sie, nur vom Schloß her brummten die Motoren durch den Sonnenglast zu ihnen herauf.
    »Soll ich für dich an der Musikhochschule fragen?« sagte sie langsam.
    »Untersteh dich!« fuhr er auf.
    »Es kostet doch
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