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Ein Mensch wie Du

Ein Mensch wie Du

Titel: Ein Mensch wie Du
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gespannt …! Die Hufe der Pferde zerstampfen den Sand … Staub wirbelt hinauf bis zur Zugbrücke der Burg … Sturm! Sturm! Es knallen die Fahnen … die Landsknechte singen … Der Tod reit't auf einem kohlschwarzen Rappen …« Und Dr. Wendel dirigierte und war aufgegangen in der Welt des Mittelalters.
    Notenlehre? »Musik ist Ausdruck völkischer Seele«, hatte Dr. Wendel gesagt. Und so gingen sie ins Abitur … völkisch, mit Landsknechtsmanier … Denn nach dem Abitur wartete die Uniform auf sie. »Hurra! Es zittern die morschen Knochen … bumbum … bumbum …«
    Franz Krone, der Gärtner von Liblar, vernachlässigte an diesem Tag zum erstenmal seit vier Jahren seinen Garten. Er säte nicht, er stellte nur die Sprenger auf, jätete ein wenig zwischen den Erdbeeren, lockerte den Boden eines gestern umgegrabenen Beetes mit Torf auf … Die meiste Zeit aber saß er auf der scheußlichen grünen Bank und starrte tatenlos vor sich hin.
    Gegen Mittag versuchte er, Greta telefonisch zu erreichen … Sie war nicht zu sprechen, sie sei essen gegangen, sagte ihm eine Kollegin. Franz Krone legte den Hörer wieder auf … Greta ging mittags nie essen, sie nahm sich Butterbrote mit ins Geschäft und aß erst abends warm zu Hause. Sie wollte ihn nicht sprechen, sie wußte, daß er wütend war, sie hatte mit Professor Glatt gesprochen …
    In einer Aufwallung von Zorn zerknüllte er den Brief in den Fingern. Aber dann nahm er das Papierknäuel und glättete es wieder auf dem Sitz der Bank, strich die Falten gerade und legte das Schriftstück zwischen ein dickes Gartenbuch, damit es sich wieder glatt preßte.
    »Was soll ich singen?« dachte er. »Den Troubadour … Rudolf aus ›Bohème‹ … Kalaf aus ›Turandot‹ … Den Faust aus Gounods ›Margarete‹ … Don José aus ›Carmen‹ … Arien, glanzvolle Arien …« Und er wußte, daß seine Stimme brechen würde, daß sie ein Krächzen würde, ein mißtönendes Aneinanderreihen unsauberer Töne, wenn er in die Augen Professor Glatts sehen mußte, in kalte, abweisende Augen mit dem ironischen Blick: »Schon wieder ein verkanntes Talent …«
    Am Nachmittag fuhr Franz Krone mit dem Motorrad nach Düren. Er stand in den beiden Musikaliengeschäften und suchte unter den Stapeln der Noten die Arien heraus, die er singen konnte. In diesem Augenblick traf ihn die Erkenntnis der Sinnlosigkeit seines Tuns wie ein Schlag. Noten! Nicht eine einzige Arie hatte er nach Noten gesungen, nur nach dem Gehör, nur so, wie er sie immer im Radio hörte oder in der Oper. Plötzlich wußte er, daß er gar keine eigene Stimme besaß, daß sein Gesang nur eine Imitation war … Er hatte sich bemüht, wie Anders zu singen, wie Gigli – welche Vermessenheit –, er hatte vor dem Radio gestanden und sich die Arien angehört, und dann sang er sie nach, immer und immer wieder, im Stil der großen Sänger, und er freute sich, wenn ihm die Höhe mühelos gelang, wenn er die Übergänge weich und ineinanderschmelzend sang und es fast so klang, als sänge Roswaenge oder Walter Ludwig … Das war es: Er sang wie die anderen! Er machte sie nach, er war ein Kopist, ein billiger Papagei bekannter Namen … Er besaß keine eigene Stimme, keine eigene Auffassung der Arie, kein eigenes Gefühl, keine Seele in der Stimme … Er sang wie ein Double, wie ein schlechtes Double, und dies hatte ihm genügt.
    Aber jetzt verlangte Professor Glatt von ihm eine Stimme! Keine Nachahmung eines Stars, sondern den Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, jenes Timbre, das die Sänger voneinander unterscheidet, jenes ›Herz in der Stimme‹, das mit jedem Ton offenlag.
    Die Verkäuferin des Musikalienladens trat an Franz Krone heran. Er stand schon eine ganze Weile vor dem Notenstapel und starrte vor sich hin. Als sie ihn ansprach, schrak er zusammen und wandte sich um.
    »Haben Sie nicht gefunden, was Sie suchen?«
    »Doch, doch …« Er griff zur Seite. Es waren die Noten des ›Troubadour‹ und der ›Bohème‹. »Diese bitte.« Und leise: »Ist der Klavierpart dabei?«
    Die Verkäuferin sah den großen, schlanken Mann erstaunt an. »Natürlich. Sie haben doch die Solistenausgabe. Da ist doch immer die Klavierstimme dabei.«
    »Ach so … Ja. Danke.« Er schämte sich seiner Unwissenheit und packte schnell die Noten in die Aktentasche. Er zahlte und verließ mit schnellen Schritten das Geschäft. Langsam fuhr er nach Liblar zurück, mit zusammengekniffenen Lippen und bleichem Gesicht.
    »Ich werde nicht
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