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Ein Mann zum Abheben

Ein Mann zum Abheben

Titel: Ein Mann zum Abheben
Autoren: Kim Wright
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würden meine Schweißnähte aufplatzen und Stücke von mir wie Bohnen aus einer ausgestopften
Puppe herausfallen. Ich werde so viel mehr Aufträge akquirieren müssen. Ich werde jeden Galeriebesitzer, jede Galeriebesitzerin, die ich je kennengelernt habe, anrufen müssen. Ich werde herausfinden müssen, wie ich zu einer Krankenversicherung komme. Wer sitzt dort im Auto? Warum hören sie Radio, und was ist das für ein Lied? Ich glaube, es ist Miles Davies, andererseits halte ich alles für Miles Davies.
    Phil ist ein großer Mann, doch Jeff ist es nicht, trotzdem zieht er mich mühelos hoch, und mir fällt ein, wie leicht Männer den Körper einer Frau durch den Raum bewegen können. Aus diesem Grund gibt es unsere Körper, um von ihren Körpern durch den Raum transportiert zu werden, warum also soll man etwas anderes vortäuschen? Ich denke an Gerry, wie er sich im Bett über mich beugt, wie er einen Arm unter mich gleiten lässt und mich bewegt, mich in einem Stück bewegt, vorsichtig, als wäre ich bei einem Unfall verletzt worden. Sein Gesicht bekommt einen anderen Ausdruck, wenn er mich sieht, sei es auf der anderen Seite einer Hoteltür oder auf einem Flughafen, und obwohl er weiß, dass ich in diesem Hotel oder auf diesem Flughafen bin, wirkt er immer ein bisschen überrascht. Ein bisschen erleichtert. Ich werde Gerry mein ganzes Leben lang kennen. Er ist der einzige Abschied, mit dem ich mich nicht befassen muss. Wir werden ein Liebespaar sein, dann Freunde und dann wieder ein Liebespaar, und Jahre später, wenn ich sechzig oder vielleicht sogar schon siebzig bin, werde ich, eine weiße Keramikkaffeetasse in der Hand, einen Blick aus meinem Schlafzimmerfenster nach unten werfen, beobachten, wie er sein Auto einparkt und auf meine Tür zugeht. Ich werde an die Fensterscheibe klopfen, und er wird hochsehen. Seine Augen sind älter, und sein Leib ist dicker, aber wenn er sein Kinn hebt und mich dort oben am Fenster
sieht, wird er noch immer sein Flughafengesicht haben. Wir werden uns immer und immer wieder finden, auf Flughäfen und in Hotels rund um die ganze Welt, doch das hier ist der Teil, den ich alleine erledigen muss, und es kann nicht er sein, den ich in der Menschenansammlung sehe, denn er ist nicht hier.
    Wer sind überhaupt all diese Leute, die mich beobachten? Sie sind so schnell hergekommen, vom Grill, aus der Kirche und von den Tischen, auf denen sich die Kleider stapeln, denen wir entwachsen sind. Wer sind diese Leute, woher sind sie gekommen, und warum regt uns das Unglück unserer Freunde so auf? Sie stehen in einem Halbkreis und beobachten mich, und ich glaube, ich kann sie murmeln hören, allerdings untereinander. So, das war es also, das stimmte also die ganze Zeit nicht. Er ist ein Schläger. Wer hätte das gedacht? Die Briefe, die Phils Händen entglitten sind, sind nicht meine Briefe, es sind Kellys Briefe, sie wird es allen erzählen, und ich werde ihnen noch viel mehr leidtun. Arme Elyse, die immer so unglücklich war, aber keiner von uns wusste so richtig warum. Das sind Kellys Briefe, nicht meine, und doch höre ich das Zischeln, als das Gras um meinen Kopf herum wächst, süß vom Saft des Frühlings. Diesen Teil vergisst man immer, dass nämlich das Leben sich während des Winters unter der Oberfläche regeneriert, dass das Glück zurückkommt. Man vergisst, dass der Körper die Fähigkeit besitzt, Freude zu empfinden, dass er nach ihr wie nach Wasser lechzt. Man vergisst, dass das eine aufhören und das andere anfangen kann. Es gibt immer einen Ausweg, hinaus aus den kaputten Orten, auch wenn man das zunächst nicht weiß - natürlich nicht, wer könnte das schon? Sei vorsichtig, Tory. Aus diesem Grund haben die Dinge Kanten.
    Ich schaue hinunter und sehe unter mir den Boden, glänzend
und grün und bedeckt mit Liebesbriefen, und mir ist bewusst, dass es in Wirklichkeit nicht der Boden, sondern die Tür ist, die Tür, nach der ich mein ganzes Leben lang gesucht habe, und ich weiß, dass der Trick darin besteht, dass man die Beine anzieht und sich abrollt, und ich weiß nicht, warum ich diejenige bin, die aufgrund einer Formalität befreit wird. Ich weiß nicht, warum ich diejenige bin, die diese zweite Chance erhält, aber ich bin es, und das Geräusch, das entsteht, wenn er mich schlägt, ist wie das Knallen eines Sektkorkens, wie eine Pistole, die losgeht, oder wie Gefängnistüren, die auseinandergleiten, wie ein gutsitzender Schlag, der einen Softball in die Sommerluft
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