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Ein Mann zum Abheben

Ein Mann zum Abheben

Titel: Ein Mann zum Abheben
Autoren: Kim Wright
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und der Boden rast auf mich zu, erhebt sich, um mir wie eine alte Freundin entgegenzukommen. Irgendwo schreit irgendjemand gellend auf, vielleicht ist es aber auch der Nerfball.
    Und Jeff. Jeff ist da, er kommt über den Rasen. Einmal hatten er und ich einen Wortwechsel darüber, ob Frauen auf die Militärschule gehören oder nicht. Einmal hatten wir einen Wortwechsel darüber, ob in Rätseln Hinweise akzeptabel sind oder nicht. Jeff und ich haben uns oft gestritten, doch heute wird er der Erste sein, der bei mir ist. Er ist bereits losgelaufen. Er wird mich mit einer einzigen schnellen Handbewegung hochreißen, einer Handbewegung, die heftiger und überraschender ist als die, die mich überhaupt erst niedergeschlagen hat. Diesen Schmerz werde ich morgen früh als Ersten spüren. Wenn ich mich in Kellys Gästezimmer auf die Seite rolle, wird mich der Schmerz in dem Arm
zusammenzucken lassen, den er mir in dem Bestreben, mich wieder auf die Beine zu stellen, fast ausgerenkt hätte. Es birgt eine gewisse Ironie in sich, wenn der Mensch, der kommt, um dich zu retten, dich weitaus stärker verletzt als der Mann, vor dem er dich retten will, aber ich werde mich in Wochen, Monaten oder Jahren nicht darüber beschweren. Nicht bis ich eine sehr viel ältere Frau bin und mit meiner besten Freundin im Westen lebe.
    Jeff wird mich mit einer einzigen kräftigen Handbewegung hochziehen, als könnte er, indem er mich aufrecht hinstellt, alles auslöschen, was eben passiert ist, als könnte er all diese Augenzeugen vergessen lassen, was sie eben gesehen haben, und dann wird er nach Phil greifen, um ihn wegzuziehen. Letzteres wird eine etwas leere Geste sein, denn Phil dreht sich ebenso wie ich um und will in den Wald laufen. Es wird Jeff sein, der in die Küche gehen und Eis holen wird. Er wird es in ein Papiertuch wickeln und mir ans Gesicht halten. Es wird Jeff sein, der - immer wieder - sagen wird, dass es ihm leidtut.
    Belinda ruft Kelly an, Kelly wird schnell da sein. Sie wird Tory mitnehmen und ins Auto setzen, und sie will auch mich mitnehmen, aber ich werde ablehnen, ich kann fahren, möchte mein Auto nicht hierlassen. In meiner fast schon komischen Benommenheit werde ich darauf bestehen, die kleinen Cupcakes auszuladen, bevor ich fahre. Ich werde allen erzählen, dass ich zweiundsiebzig gebacken habe, und Belinda wird schließlich die Cupcakes nehmen, nur um mich zum Schweigen zu bringen. Sie wird sie die Treppen hochtragen, während ich einen Augenblick allein auf dem sich leerenden Kirchhof stehe und mich umschaue. Ich werde das Bedürfnis unterdrücken, in den Wald zu laufen und nachzusehen, ob es Phil so weit gutgeht.
    Seine neue Frau wird nett sein. Ich werde sie mögen, Tory
wird sie mögen. In zwei Jahren, vielleicht drei, wird sie an einem Freitag kommen, um Tory für das Wochenende abzuholen und erwähnen, dass sie kurz bei Domino’s vorbeifahren und Pizza holen wird, und ich werde sagen, dass in meinem Kühlschrank eine halbe Pizza liegt und sie sie mitnehmen kann. Sie wird antworten: »Der Gedanke, dass ich dir deinen Ehemann und dann auch noch die Pizza genommen habe, wäre mir verhasst«, und ich werde sagen: »Bitte! Ich war mit beiden fertig.« Und wir werden lachen, weil sie eine nette Frau ist und ihre Anwesenheit mein Leben erleichtert. Wir tun so, als würde uns nicht auffallen, wie sehr wir uns ähnlich sind, und wir werden so etwas wie Freundinnen sein.
    Hoch über mir sehe ich einen Streifen blauen Himmel, wie auf einer Kinderzeichnung. Aus einem geparkten Auto dringt Musik. Ich rieche die Holzkohle vom Grill, und der Boden kommt auf mich zu. Ich atme aus, gerade so weit, dass es im Augenblick des Aufpralls einen leisen Schrei gibt. Es tut ein bisschen weh, aber das kann ich wegstecken, es ist nicht allzu schlimm. Ich bin überrascht, eindeutig überrascht, mich hier so in der Luft zu befinden. Und ja, es ist eine Schande, dass das ausgerechnet hier und jetzt, beim Barbecue am Abend vor Ostern, passiert, aber es musste doch irgendwann passieren, stimmt’s? Ich konnte doch nicht einfach so davonkommen. Ich denke, da sind wir einer Meinung. Jeff sagt, dass es ihm leidtut, so sehr leidtut, und er zieht mich hoch, zieht mich grob hoch. Ich bin nun endgültig zu bemitleiden, und eine Frau, die geschlagen wurde (noch dazu auf den Kirchenstufen), hat auf alle Fälle das Recht zu gehen. Das gestehen dir selbst die Christen zu, also drehe ich mich in Richtung Boden, und einen Augenblick lang scheint es, als
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