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Ein Mann zum Abheben

Ein Mann zum Abheben

Titel: Ein Mann zum Abheben
Autoren: Kim Wright
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gefühlt, es ihm zu sagen, das hat sie gefühlt, denn man weiß ja, wie sie ist, und ich stehe fast wieder senkrecht. Fast bin ich wieder im Gleichgewicht. Ich stehe einen Augenblick lang schwankend da, dann nähert sich Phils Gestalt, fällt wie ein Schatten über mich, und schlägt erneut zu.
    Hier, auf der untersten Treppenstufe der Kirche, die ich acht Jahre lang besuchte, übergebe ich meinen Körper der Luft. Im Augenblick des Aufpralls, in dem Augenblick, in dem seine Faust meine Wange trifft, weiß ich haargenau, was zu tun ist. Ich bin nicht bereit, flach umzufallen und eine Verletzung meines Rückens zu riskieren. Ich drehe mich um, strecke meine Arme nach vorn, um mich abzustützen, und im Moment meines Umdrehens schaue ich Phil in die Augen. Ich weiß, es ist das Schlimmste, was ich ihm je angetan habe - ich habe mein Gesicht mit seiner eigenen Hand geschlagen.
    Später wird er in den Wald hinter dem Gemeindesaal laufen und weinen, weil er nicht dazu erzogen wurde, eine Frau zu schlagen, genauso wenig wie ich dazu erzogen wurde, geschlagen zu werden. Ich hätte die Briefe verbrennen sollen. Wie gemein von mir, sie zu behalten, wie gemein von mir, zu fallen und ihn mit hinunterzureißen, einen Mann zu nehmen, der immer nur ganz normal sein wollte, und ihn in einen Mann zu verwandeln, der seine Frau schlägt. Morgen werde ich von Kellys Gästeschlafzimmer aus einen Anwalt anrufen, und ich werde diesem Anwalt sagen, dass ich den versöhnlichen Weg gehen möchte, dass es keinen Grund gibt, rachsüchtig zu sein.
    Ich drehe mich gerade weit genug um, denn ich war einmal
eine Cheerleaderin - in der unteren Reihe, ja, aber trotzdem eine Cheerleaderin -, und ich weiß, wie man seine Stellung mitten in der Bewegung korrigiert. Ich weiß, wie ich meine Knie beugen und anziehen muss, gerade so viel, dass ich beim Aufschlag auf dem Boden über die Schulter abrolle und mein Gesicht schütze, aber hart genug aufkomme, um den Bluterguss zu bekommen, den ich brauche. Ich werde hart genug fallen, um zu tun, was ich tun muss, aber nicht hart genug, um mir eine ernsthafte Verletzung zuzuziehen. Jahre später werden Phil und ich Seite an Seite auf Abschlussfeiern und Hochzeiten und den Taufen unserer Enkel sitzen, und es wird so in Ordnung sein, wie Dinge, die vorbei sind, immer in Ordnung sind, und so werfe ich meine Arme nach vorn und greife nach der Zukunft, wie auch immer sie aussehen mag, die auf der anderen Seite dieses Bodens liegt.
    Es gibt drei mögliche Gründe für eine Frau, ihren Mann zu verlassen. Er muss sie schlagen oder trinken oder fremdgehen, und Phil trinkt nicht und geht nicht fremd, also fällt mein Kopf nach hinten, als seine Faust mein Kinn trifft, und gibt den scharfen Knall einer losgehenden Pistole von sich, das vertraute Geräusch von etwas, das zerbricht, und das einzig Grauenhaft daran ist, dass Tory alles mitansieht. Denn sie ist da, ja, sie steht neben Belindas Mann. Sie hat die Stirn in Falten gelegt, als würde sie über einem schweren Matheproblem brüten; in dem Versuch, alles auf die Reihe zu bringen, arbeitet es in ihrem Kopf wie wild. Sie denkt, dass sie das, was sie sieht, nicht sieht. In Gedanken schreibt sie bereits alles um. Sie will nicht Zeugin des Anblicks werden, wie ihr Vater ihre Mutter schlägt, und noch bevor ich auf den Boden aufschlage, überredet sie sich, dass sie etwas anderes gesehen haben muss. Belinda steht neben ihr und zieht Tory zurück, in der anderen Hand hat sie bereits
das Handy. In drei, vielleicht vier Jahren, wird alles wieder in Ordnung sein. Phil wird wieder verheiratet sein, und ich werde einen Geliebten haben - einen, der ganz sicher schwarz, weiblich, jünger, älter, verheiratet, Moslem oder sonst irgendwie wahnsinnig unpassend ist, denn das ist mein Karma. Und sie werden die Achseln zucken und sagen: »Nun, ihr wisst ja, wie Elyse ist. Sie kann nicht zur Ruhe kommen, hat es nie gekonnt.« In ein, vielleicht zwei Jahren wird es in Ordnung sein, und aus diesem Grund strecke ich mich aus nach der Zukunft, als würde es sich um eine Wasseroberfläche handeln, in die ich mit dem geringst möglichen Aufspritzen eintauchen muss.
    Es tut mir leid, dass Tory da ist, aber Belinda scheint es im Griff zu haben. Sie wirkt ruhig. Sie wirkt sogar so ruhig, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. Sie zieht Tory zurück, dreht ihren Kopf weg von uns. Ich hätte die Briefe verbrennen sollen, ich hätte ins Auto steigen und abfahren sollen, aber ich bin hier, stürze,
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