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Ein Mann zum Abheben

Ein Mann zum Abheben

Titel: Ein Mann zum Abheben
Autoren: Kim Wright
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aber nach Anfang oder Ende fühlt es sich auch nicht an. Ich glaube nicht, dass man eine Ehe messen kann, genauso wenig wie einen Ozean. Der Mann auf 29C hat sich Kopfhörer aufgesetzt. Inzwischen sind wir bei Wodka und Brezelchen angelangt.
    »Das ist ein ganz eigenartiger Sport«, sagt er. Ich brauche einen Moment, um zu verstehen, wovon er spricht. »Jedes Mal, wenn ich gipfele, denke ich das Gleiche, nämlich dass
wir nicht hätten herkommen sollen, weil Menschen am Himmel nichts zu suchen haben. Jedes Mal sage ich mir: ›Das hier ist deine letzte Klettertour‹, aber dann komme ich nach Hause, und ein paar Wochen später packt es mich wieder.«
    »Vermutlich ist es schwer aufzuhören, wenn man einmal damit angefangen hat«, bemerke ich. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der das Wort »Gipfel« als Verb gebraucht. Doch er hat die Augen geschlossen und sich im Sitz zurückgelehnt, als hätte ihn das bloße Erzählen der Geschichte erschöpft.
    Ich ziehe das Redbook Magazine aus meiner Tasche. Auf der Titelseite steht: »48 Dinge, mit denen Sie einen Mann im Bett verrückt machen können.« Ich habe die Zeitschrift wegen dieses Artikels gekauft. Entgegen aller Logik glaubt ein Teil von mir immer noch daran, ich könnte meine Ehe durch Sex retten.
    Gerry - sein Name ist Gerry - öffnet die Augen und fängt an, über meine Schulter hinweg mitzulesen. Sein kurzes Nickerchen scheint ihn neu belebt zu haben, denn er schlägt vor, dass wir die Liste durchgehen und jeder drei Dinge aufschreiben solle, die er gerne ausprobieren würde. Wäre es nicht ein Riesenzufall, wenn es dieselben drei Dinge wären?
    Es beschleicht mich der heftige Verdacht, dass genau das passieren wird. Er ist natürlich ebenfalls verheiratet, und zwar mit einer Frau, die er zu Beginn seines Studiums an der University of Massachusetts in der Schlange zur Einschreibung kennengelernt hat. Irgendwann waren sie so lange zusammen gewesen, dass sie sich einfach anschauten und sagten: »Warum nicht?« Zwei Jungen und dann ein Mädchen, und die Tochter, sie sei die Liebe seines Lebens, sagt er - aber seine Frau, das sei etwas ganz anderes. Er sitzt breitbeinig da und hat seinen Oberschenkel an meinen gepresst,
als wäre ich ein Gewicht, das er von sich wegdrücken muss, um seine Muskeln zu kräftigen.
    »Verheiratet zu sein ist schwierig«, sage ich zu ihm. »In meinem ganzen bisherigen Leben ist es das Einzige, woran ich gescheitert bin.«
    Das habe ich noch nie zu jemandem gesagt, ich habe noch nie das Wort »scheitern« benutzt, aber es kommt mir über die Lippen, als wäre es eine Tatsache. Vielleicht sollte man sich Dinge immer auf diese Weise eingestehen - einfach so, abgehoben in der Luft und einem vollkommen Fremden gegenüber.
    Ich warte darauf, dass er mich vom Gegenteil zu überzeugen versucht. Mein Gott, zu Hause wären hundert Leute herbeigeeilt, um mich zu verbessern, noch bevor ich die Worte überhaupt ausgesprochen hätte. Sie hätten behauptet, der Wodka oder die Flughöhe seien daran schuld. Oder vielleicht mein Wunsch, diesen Mann zu beeindrucken, indem ich etwas Dramatisches sage, irgendetwas, das ihn dazu bringt, sich auf seinem Sitz nicht von mir abzuwenden. Jede Ehe kann gerettet werden, würden meine Freunde mir sagen - und vor allem eine saubere, wohlgeordnete kleine Ehe wie meine. Nein, natürlich bin ich nicht gescheitert. Wir machen nur gerade ein paar Turbulenzen durch.
    Doch dieser Mann verbessert mich nicht. Er lächelt und schraubt den Deckel von seinem zweiten Wodkafläschchen ab. Seine Hände sind sehr schön. Für mich ist es unabdingbar, dass ein Mann schöne Hände hat, Hände, von denen du dir gleich vorstellen kannst, wie sie an dir hinabgleiten, Hände, die dir selbst dann ein wenig den Atem rauben, wenn sie die banalsten Aufgaben erledigen, wenn sie zum Beispiel eine Packung Brezeln aufreißen oder sich nach oben strecken, um das Gebläse anders einzustellen.
    »Die Liste?« Er zeigt auf die Zeitschrift.

    »Haben Sie Papier?«
    Er zieht etwas aus seiner Hosentasche heraus. »Sie können es in mein BlackBerry eintippen.«
    »Ich soll drei Dinge, die ich gerne im Bett ausprobieren würde, in Ihr BlackBerry eingeben? Werden Sie es wieder löschen?«
    Er lächelt. »Irgendwann.«
    Der Flug vergeht schnell. Als der Pilot uns mitteilt, dass wir uns im Anflug auf Dallas befinden, überrascht mich das so, als hätte ich vergessen, dass wir uns in einem Flugzeug befinden.
    »Darf ich Ihre Hand halten?«, bittet mich
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