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Ein Mann zum Abheben

Ein Mann zum Abheben

Titel: Ein Mann zum Abheben
Autoren: Kim Wright
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Alphaweibchen sein soll, die Nicht-Ehefrau, die Frau, die man in fremden Städten trifft, die cool und aggressiv, unkompliziert und selbstsicher ist. Wie aufs Stichwort breche ich in Tränen aus. Gerry küsst mich wieder, allerdings fühle ich mich so
schwach, dass ich kaum den Mund öffnen kann. Wie ein Bergsteiger mit schlechter Ausrüstung rutsche ich von seiner Zunge ab.
    Ich reiße mich los und folge der Dame von US Airways in den Tunnel. Ich schaue mich nicht um. Während wir gehen, schniefe ich, und sie tätschelt meinen Arm und sagt: »Abschiede am Flughafen können sehr schwer sein.« Noch nie habe ich als letzter Passagier ein Flugzeug bestiegen. Alle starren mich an, während ich den Mittelgang hinunter auf den einzigen freien Platz zustolpere. Neben mir sitzt eine freundlich aussehende ältere Dame, und ich würde ihr am liebsten alles erzählen, aber das Gepäckfach über unseren Köpfen ist voll, und ich brauche mein letztes Quäntchen Kraft, um meine Tasche unter den Sitz vor mir zu schieben. In meiner Hand halte ich Gerrys zerknitterte Visitenkarte. Meine habe ich nicht gefunden, er kann mich also nicht anrufen. Wenn, dann muss ich ihn anrufen, und das gefällt mir gar nicht. Denn wenn ich zuerst anrufe, dann wird er immer wissen, dass ich mich aus freien Stücken und mit klarem Kopf auf die Sache eingelassen habe, dass ich bereit bin, eine Affäre einzugehen, und dass es mir egal ist, dass er verheiratet ist und ich ebenso. Er wird wissen, dass ich mich dafür entschieden habe, dass ich es wollte und mir im Klaren darüber war, worauf ich mich einlasse, bevor ich zum Hörer gegriffen und gewählt habe.
    Als wir vom Gate wegrollen, bin ich ganz ruhig, oder genauer gesagt befinde ich mich in jenem eigenartigen Zustand, in dem man so aufgewühlt ist, dass man sich benimmt, als wäre man ruhig. Ich schließe meine Augen und versuche mir einen platten, hageren Jesus vorzustellen, der mein Flugzeug in der Hand hält. Gerry mag Landungen nicht, ich mag keine Starts. Ich kann dieses Gefühl, in meinen Sitz zurückgedrückt zu werden, nicht leiden. An dieser
Stelle bete ich Sachen wie: »In deine Hände übergebe ich meinen Geist«, oder vielleicht heißt es auch: »In deine Hände empfehle ich meinen Geist.« Keins von beidem macht besonders viel Sinn, aber auf einer Startbahn würde ich alles beten. Ich würde Hebräisch, Arabisch oder Suaheli sprechen, wenn ich es könnte, nur um mich nach allen Seiten hin abzusichern. Heute allerdings bin ich viel zu erschöpft, um mit Gott zu feilschen. Zur Hölle damit, irgendwann müssen wir alle das Zeitliche segnen.
    Ich öffne meine Augen und schaue mich um. Die nette Dame neben mir hält ihren Kopf gesenkt und bewegt die Lippen. Gut so. Soll sie nur für uns alle beten. Wenn Gott sie verschont, stehen die Chancen gut, dass ich aufgrund meiner bloßen Nachbarschaft zu ihr am Leben bleibe. Ich sehe auf die Karte in meiner Hand hinunter und übe, seinen Namen laut auszusprechen. Ich bin mir nicht sicher, was mir da eben passiert ist. Was hat es zu bedeuten? Ich drücke meine Handflächen auf meine zitternden Oberschenkel und lausche darauf, wie die Motoren unter mir an Kraft zulegen. Genug Kraft, um uns in den Himmel zu katapultieren, wo wir nichts zu suchen haben, wohin wir uns aber trotzdem ab und zu begeben.

Kapitel 2
    Phils Wecker geht morgens als Erster los. Ich liege in der blaugrauen Dunkelheit und warte auf die Geräusche der Dusche, seines Reißverschlusses, das Klimpern seiner Autoschlüssel, das Öffnen des Garagentors. Um 7 Uhr 05 beginnt der Kaffee durchzulaufen. In fünfunddreißig Minuten kommt Torys Mitfahrgelegenheit. Sie will das neue, zwanzig Dollar teure Rugby-Shirt von Gap Kids nicht anziehen. In diesem Leben wird es ihr nicht mehr gelingen, das Wort »Portemonnaie« richtig zu buchstabieren. Ihre Vokabelliste ist mit einem Magneten am Kühlschrank befestigt. Wir haben erst Dienstag, deshalb muss ich noch auf die Liste schauen, am Freitag werde ich sie jedoch auswendig kennen. Ich rufe ihr die Wörter zu, während ich das Gap-Shirt wieder zusammenfalte und das alte von Target raushole, das sie so liebt. Ich bringe ihren Zimttoast zu dem Sessel, in dem sie sich vor dem Fernseher zusammengerollt hat. Nach all den vergeblichen Jahren jagt der Kojote noch immer den Road Runner.
    Die eine Katze will hinaus, die andere herein. Sie reiben sich an der Glastür, ihre Schwänze schnalzen gegen die Scheibe. Es folgt eine Sendepause, was bedeutet, dass wir
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