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Ein Mann zum Abheben

Ein Mann zum Abheben

Titel: Ein Mann zum Abheben
Autoren: Kim Wright
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spät dran sind. Ich rufe Tory zu, dass sie sich die Zähne putzen soll, schließe ihre Butterbrotdose und ziehe den Reißverschluss an ihrem Schulrucksack zu. Sie lädt ihre Brotrinden
in dem Teil der Spüle ab, der keinen integrierten Müllschlucker hat. Ich gebe ihr einen Kuss auf die Stirn und schicke sie hinaus ans Ende der Auffahrt, wo sie auf die Mutter warten soll, die diese Woche mit dem Fahrdienst dran ist.
    Auf der Veranda liegt die morgendliche Jagdbeute der Katzen, eine kleine Maus mit starrem Blick. Das ist die ultimative Perversität - sie werden bestens gefüttert, und trotzdem gehen sie auf die Pirsch. Die Maus ist bereits steif, und ich fege sie über den Rand der Veranda, wo sie im freien Fall in den Sträuchern landet, einem Massengrab für all jene Tiere, die die Katzen in früheren Nächten umgebracht haben. Das Stück Erde unter der Veranda ist schon ganz dunkel, angereichert mit zahllosen kleinen gekrümmten Skeletten, und die Blumen gedeihen dort prächtig. Das Fernsehbild flackert durch die Verandatür. Der Kojote wurde einmal mehr von seiner ACME-Rakete im Stich gelassen und fällt in den Canyon. Er hält ein Schild hoch, auf dem »HILFE!« steht.
    Ich denke aus Prinzip nicht darüber nach, wie die Maus gestorben ist. Sie und all die Vögel, Eichhörnchen und Maulwürfe mit aufgerissenen Mäulern, die ich an anderen Tagen gefunden habe, oder das junge Häschen, das ich in ein Geschirrtuch gewickelt und im weichen Boden hinter dem Schaukelgerüst begraben habe. Ich stelle den Besen weg und schütte Friskies in die grüne Schüssel. Die Katzen, Pascal und Garcia, sind Bruder und Schwester. Sie fallen über das Fressen her, als hätten sie ewig nichts gekriegt, und schieben dabei mit ihren Köpfen meine Hand vom Napf weg.
    Ich gehe in die Küche, schenke mir eine weitere Tasse Kaffee ein und bleibe an der Spüle stehen, wo ich die Ränder von Torys Toast esse. Im Haus ist es still. Diesen Teil des Tages mag ich, es ist der Einzige, über den ich wirklich selbst
bestimmen kann, und rasend schnell eilen meine Gedanken zu jenem Ort, wo sie sich seit achtundvierzig Stunden immer wieder sammeln. Gestern habe ich die Schecks von meiner Reise nach Phoenix bei der Bank eingereicht und die Rechnungen beglichen, die Phil fein säuberlich auf der Küchentheke gestapelt hatte. Ich habe meinen Koffer ausgepackt, die kleinen Lotionen und Seifen, die ich immer aus den Hotelzimmern mitgehen lasse, in das Weidenkörbchen unter meinem Waschbecken geworfen und meine grüne Seidenbluse ausgewaschen. Alle Spuren der Reise sind beseitigt, und nichts außer einer einzelnen Visitenkarte beweist, dass es diesen Mann wirklich gegeben hat. An ihn zu denken macht süchtig, das weiß ich noch von gestern, wo mich die Erinnerung so trunken machte, dass ich mich wie ein Hollywoodsternchen aus früheren Zeiten ins Bett zurückzog. Ich schaue auf die Uhr und gebe mir fünf Minuten, ganz genau fünf Minuten, um darüber nachzudenken, wie sehr und wie wenig mein Leben sich verändert hat. Fünf Minuten, um in der lächerlichen und berauschenden Vorstellung zu schwelgen, dass es drüben in Boston einen Mann gibt, der mich will. Fünf Minuten, und danach werde ich anfangen zu arbeiten.
     
    Als wir vor sieben Jahren hier eingezogen sind, habe ich die Garage zu einem Atelier umgebaut. Na ja, nicht ganz. Zunächst war die Garage nur zur Hälfte ein Atelier, um Platz zu lassen für Phils Gartengeräte und sein Auto, doch manche Dinge haben eben die Eigenschaft, sich auszubreiten. Natürlich steht hier meine Töpferscheibe. Es gibt einen mit Plastik ausgekleideten Eimer, in dem ich den Ton aufbewahre. Und es gibt Säcke mit Schamotte sowie drei Reihen Regalbretter und den Tisch, auf dem ich die Tonmasse knete. Ferner ist da diese kleine Gerätekammer, in der laut Phil
normale Leute ihren Rasenmäher aufbewahren würden. Ich nutze sie als Feuchtraum, in den ich meine Töpfe gleich nach dem Formen bringe. Ein krankenhausüblicher Luftbefeuchter steht darin. Die Gefäße sollen langsam trocknen, versuche ich Phil zu erklären, also müssen sie in einem Feuchtraum trocknen. Doch er behauptet, das sei unlogisch. Offenbar glaubt er, ich hätte mein Atelier nur erweitert, weil ich ihn verdrängen will, hätte meine Werkzeuge ausgebreitet und seine Gerätekammer okkupiert, um eine Art von hausfraulich-feministischem Standpunkt zu demonstrieren.
    Heute Morgen finde ich - nicht zum ersten Mal - eine Nachricht vor. An einem Topf, den ich auf
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