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Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman

Titel: Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
Autoren: Florian Tausch
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1.
    Wenn einen ein Blick trifft, in dem zu gleichen Teilen diffuse Vorfreude und Angst vor der eigenen Courage liegen, sollte man dringend prüfen, ob eine Blume auf dem Revers seines Anzugs steckt - und ob es die eigenen Augen sind, die einen aus dem Spiegelbild derart anstarren. In diesem Fall ist die Chance groß, dass nur wenige Augenblicke später jemand an die Badezimmertür klopft und mit Nachdruck das Erscheinen des Bräutigams fordert, da die Taxen Richtung Standesamt bereits warten. Und was bleibt einem dann anderes übrig, als der ganzen Gesellschaft mit einem Lächeln im Gesicht zu folgen? Nichts. Zumindest nicht viel. Ich habe es jedenfalls getan.
    Doch bevor ich die Tür öffnete, vergewisserte ich mich noch einmal, dass alle Scheine in der Kloschüssel verschwunden waren.
     
    Wie hatte ich mich nur in diese aussichtslose Lage manövrieren können? Bin ich nicht in der letzten Dekade glücklich in meinem Einsitzer unterwegs gewesen, der zwar ab und zu einen Beiwagen angeschraubt bekam, mit dem ich aber unbeirrt und mit Vollgas an jeder Ausfahrt Richtung traute Zweisamkeit vorbeirauschte?
    Diese Tour hatte zehn Jahre zuvor in meiner Badewanne ihren Anfang genommen: Von einer Asien-Reise heimgekehrt,
war ich gerade dabei, mich wieder in einen appetitlichen Zustand zu versetzen. In Kürze wollte meine Freundin vorbeikommen, die ich über einen Monat nicht mehr in die Arme geschlossen hatte.
    Draußen fiel die Wohnungstür ins Schloss. Eva musste schon da sein. Ha! Wir würden es wohl nicht einmal mehr ins Bett schaffen. Was anderes ist von zwei Mittzwanzigern, die in Liebe entbrannt sind und nach Wochen der Trennung erstmals wieder die Wärme des anderen spüren, zu erwarten? Für mich stand jedenfalls fest, dass sich gleich die Badezimmertür öffnen würde, Eva schon im Evaskostüm hereingeschwebt käme und ihr erster Kuss nicht unbedingt meine Lippen treffen würde. Doch die Tür blieb zu.
    Ich wusch mir die Haare und stellte mir dabei den Geruch ihres nackten Körpers vor. Doch die Tür blieb zu.
    Ich spülte mich ab und ging im Geiste das Repertoire an badewannentauglichen Stellungen durch. Doch die Tür blieb zu.
    Ich stieg hinaus, trocknete mich ab und hatte dabei das an Gewissheit grenzende Gefühl, dass hier etwas ganz falschläuft. Denn die Tür blieb zu.
    Ich zog mich an und atmete tief durch. Dann machte ich sie selber auf.
     
    Wenn einen ein Blick trifft, in dem zu gleichen Teilen tiefe Trauer, mieses Mitleid und der Wunsch nach sofortiger Flucht liegen, sollte man dringend prüfen, ob es die Augen der Lebenspartnerin sind, die einen derart anstarren. In diesem Fall liegt die Chance bei 99 Prozent, dass man den Begriff »meine Freundin« vorerst aus seinem Wortschatz streichen muss.

    Ich prüfte, musste aber leider feststellen, dass es wirklich Evas Augen waren, die mich so anguckten. Sie saß auf dem Boden an die Heizung gelehnt, den Kopf in die Hände gestützt. Es brauchte nicht mehr vieler Worte, um deutlich zu machen, worum es hier ging. Trotzdem fragte ich: »Was ist los?«
    Seltsame Begrüßung, wenn man sich fünf Wochen nicht gesehen hat.
    Schweigen. Immer noch dieser Blick.
    »Nun sag schon«, hakte ich nach. Ich stand mitten im Raum, wie losgelöst von der Welt. Langsam fühlte ich, wie mir der Boden unter meinen Füßen entglitt.
    Schweigen. Tränen auf ihrem Gesicht. »Was soll das?«, rebellierte es in meinem Kopf. Der Boden wankte stärker.
    Dann endlich, sehr leise: »Tut mir leid.« Es folgten noch mehr Tränen und eine lange Pause, in der ich mich schon geistig auf den finalen Todesstoß vorbereitete. »Ich habe einen anderen kennen gelernt.«
    Für einen kurzen Augenblick blieb die Zeit stehen. Das große Nichts. Die absolute Leere. So wie die Sekundenbruchteile, wenn das Orchester den finalen Akkord geschmettert hat und das Publikum noch vor Spannung den Atem anhält, bevor sie sich in tosendem Applaus entlädt.
    Dumm nur, dass bei mir kein Beifall folgte. Vielmehr traf mich der große Hammer. Er semmelte mir mit voller Wucht eins in den Magen. Der Boden tat sich endgültig unter mir auf, ich stürzte in die Dunkelheit, tiefer und tiefer. Ich fiel noch, als Eva meinen Wohnungsschlüssel auf den Esstisch legte. Ich fiel, als sie mich halb ängstlich, halb mitleidig in den Arm nahm. Ich fiel, als sie ein letztes, tränenersticktes »Es tut
mir so leid« herauspresste. Ich fiel, als sie für immer die Tür hinter sich schloss.
    Dann schlug ich hart auf.
     
    Zwei Jahre
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