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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Autoren: Kofi Annan
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angesichts eines dreijährigen grausamen Bürgerkriegs genötigt, über ihr traditionelles Verständnis von Neutralität hinauszugehen, um Gut und Böse, Aggressor und Opfer unterscheiden zu können. In einem anderen Fall, in Ruanda, warnte eine einsame Stimme vor Ort – einer unserer eigenen Kommandeure – vor einer heraufziehenden Katastrophe, doch im New Yorker Hauptquartier bestimmte die Erinnerung an Somalia unsere Entscheidungen, und drei Monate später, nachdem der Völkermord begonnen hatte, zogen die wichtigsten UN -Mitglieder die wenigen noch im Land verbliebenen Truppen ab.
    Aber das war, besonders für die UNO , nur ein Aspekt unter mehreren. Wenn sie mit ihren blauen Helmen und weißen Fahrzeugen sowie einer Flagge, die weit mehr als alle Worte Schutz und Sicherheit symbolisierte, in einem Konfliktgebiet auftauchte, gab sie ein Versprechen ab: Wir sind gekommen, um den Frieden zu bewahren. Das war unsere Verpflichtung, und unser größtes Versagen bestand vielleicht darin, dass wir das ungeheure Ausmaß dieser Verpflichtung nie in vollem Umfang begriffen hatten. Für Männer, Frauen und Kinder, für die die Anwesenheit eines Blauhelms alles ist, was zwischen Sicherheit und sicherem Tod steht, ist das Gerede von begrenzten Mandaten, unangemessenen Mitteln und unzureichend ausgestatteten Missionen – wie sehr es auch zutreffen mag –, bestenfalls irrelevant und schlimmstenfalls Betrug.
    Als Generalsekretär war ich entschlossen, durchzusetzen, dass diese Realitäten gewürdigt wurden. Das war nicht nur eine moralische Notwendigkeit. Ich war zudem überzeugt, dass wir als Institution künftig keine Rolle bei der Friedenssicherung beanspruchen konnten, wenn wir unsere moralischen und militärischen Fehlschläge nicht durch Wort und Tat eingestanden. Bei einem UN -Generalsekretär ist das, was er sagt – oder nicht sagt –, oftmals ebenso wichtig wie das, was er tut.
    Der erste Test meines Engagements als Generalsekretär kam 1999 mit Serbiens Kampagne gegen die Kosovoalbaner. Je heftiger Miloševi ć s Angriffe wurden, desto direkter sprach ich die Verpflichtung der Weltgemeinschaft an, ein weiteres Bosnien zu verhindern – wenn nötig mit Gewalt. Und so äußerte ich, als die NATO ohne Autorisierung durch den Sicherheitsrat beschloss, gegen Serbien vorzugehen, zwar mein Bedauern, fügte aber hinzu, es gebe »Zeiten, in denen die Anwendung von Gewalt zur Herstellung des Friedens berechtigt« sei.
    Noch nie hatte ein Generalsekretär der Vereinten Nationen eine militärische Aktion gebilligt, die nicht den Segen des Sicherheitsrats erhalten hatte. Die Entscheidung für meine Zustimmung war mir schwergefallen, aber ich fand, dass es nach der Erfahrung von Ruanda und Bosnien keine leichten Antworten mehr gab. Später im selben Jahr stellte ich der Vollversammlung der Vereinten Nationen in Bezug auf Ruanda die Frage: »Wenn in jenen dunklen Tagen und Stunden, die zum Völkermord führten, eine Koalition von Staaten bereit gewesen wäre, zur Verteidigung der Tutsi-Bevölkerung einzugreifen, aber keine sofortige Ermächtigung durch den Sicherheitsrat erhalten hätte, hätte eine solche Koalition untätig danebenstehen sollen, als das Grauen ausbrach?« Ich nahm an, dass nur wenige der führenden Politiker im Saal im Rückblick Puristen sein wollten. Gleichzeitig warnte ich jedoch vor der Gefahr einer Welt ohne Regeln für Interventionen: »Diejenigen, für die der Kosovo-Einsatz eine neue Ära ankündigt, in der Staaten und Staatengruppen militärische Gewalt außerhalb der etablierten Mechanismen für die Durchsetzung von internationalem Recht anwenden, könnte man fragen: Besteht nicht die Gefahr, dass solche Interventionen das nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene, unvollkommene, jedoch anpassungsfähige Sicherheitssystem unterminieren könnten und dass gefährliche Präzedenzfälle für künftige Interventionen geschaffen werden könnten, ohne dass es ein eindeutiges Kriterium gibt, wer sich auf diese Präzedenzfälle berufen darf und unter welchen Umständen?« Vier Jahre später lieferte der Irak die tragische Antwort auf diesen Teil meiner Frage.
    Während meiner Amtszeit als Generalsekretär versuchte ich der unvergleichlichen Autorität der Vereinten Nationen als der einzigen wahrhaft universalen Staatenorganisation gerecht zu werden, indem ich darauf achtete, dass Rechte verteidigt, Leid gemildert und Leben gerettet wurden. In einem zunehmend fragmentierten Jahrhundert wie dem gegenwärtigen, in
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