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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Autoren: Kofi Annan
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und Israelis, sondern – mit ihren verworrenen, blutigen Wurzeln, ihrem komplexen regionalen Wesen und ihrer von den Vereinten Nationen sorgfältig ausgehandelten Beilegung – auch ein Spiegelbild der Kräfte von globaler Ordnung und Unordnung, mit denen ich während meiner gesamten zehnjährigen Amtszeit als UN -Generalsekretär zu tun hatte. Die Intervention in seit langem schwelenden Konflikten, die Rechte und Pflichten der Souveränität, die Rolle der Friedensbewahrung, die Stellung der UNO in einer amerikanisch dominierten Ära, das Auftreten nichtstaatlicher Akteure in asymmetrischen Konflikten, die persönliche Shuttlediplomatie eines UN -Generalsekretärs in einer fragmentierten Welt: All das spielte im Libanonkrieg eine Rolle. Eine einfache Schlacht zwischen Gut und Böse war er nicht.
    Blair sah diesen Konflikt – ebenso wie den Irakkrieg – allerdings durch die Brille eines Metakonflikts zwischen Moderne und Mittelalter, zwischen tolerantem Säkularismus und radikalem Islam. In St. Petersburg hatten wir uns vor der offiziellen Gipfelsitzung zu einem vertraulichen Gespräch getroffen, in dem er auf meine Bemerkung, die Erklärung der G8 sei zu schwach und zu vage, um etwas bewirken zu können, kühl entgegnete, die Frage sei nicht, ob Israel heute zu einem Waffenstillstand überredet werden könne, sondern ob dies »in zehn Tagen oder zwei Wochen« erreichbar sei. In zwei Wochen? Ich sah ihn erstaunt an. Seine einzige Reaktion darauf bestand in der Bemerkung, dass die Waffenstillstandsbedingungen noch nicht feststünden. Das war nicht der Blair von 1999, der die moralische Notwendigkeit einer humanitären Intervention hervorgehoben hatte, um die serbischen Angriffe auf die Kosovoalbaner zu beenden. Damals hatte ich ihm aus vollem Herzen zugestimmt, obwohl dieser Standpunkt mich nötigte, meiner eigenen Überzeugung, dass der Einsatz von Gewalt durch den UN -Sicherheitsrat autorisiert werden sollte, zuwiderzuhandeln, und mir im Verhältnis zu Großmächten wie Russland und China enorm schadete. Doch Blair hatte sich inzwischen verändert, und damit hatte er nach meiner Ansicht die Fähigkeit verloren, in diesem Konflikt als glaubwürdiger Vermittler aufzutreten.
    Umfang und Schärfe der israelischen Vergeltung hatten mich von Anfang an beunruhigt. Selbstverständlich waren die Israelis zu einer Antwort berechtigt. Jedes Land hat bei einem Angriff das Recht, sich zu verteidigen, und israelische Stellungen waren über eine international anerkannte Grenze hinweg angegriffen worden. Im Jahr 2000 hatte ich selbst die Blaue Linie beglaubigt, nachdem ich zuvor eng mit dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak zusammengearbeitet hatte, um die achtzehnjährige Besetzung libanesischen Territoriums durch israelische Truppen zu beenden. Aber Israels berechtigte Maßnahmen zur Verteidigung seiner Grenze weiteten sich rasch zu etwas Größerem aus, das wesentlich schwerer zu erreichen war – der Vernichtung einer populären Guerillaorganisation, die über beträchtliche Mittel für das eigene Überleben und für Vergeltungsaktionen verfügte.
    Am Tag des Angriffs sagte ich zu Condoleezza Rice, Israel würde früher oder später entdecken, dass dem, was man mit Gewalt erreichen könne, Grenzen gesetzt seien. Man müsse sich politisch verständigen und eine politische Vereinbarung erzielen. Die Hisbollah sei tief in der libanesischen Gesellschaft verwurzelt und stehe für den Protest gegen zahlreiche langjährige, von vielen Menschen beklagte lokale Missstände. Mit militärischer Gewalt allein sei sie nicht zu entwaffnen. Der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert wollte davon nichts hören. Als ich ihn am nächsten Tag anrief, sagte er, Israel werde »keine der militärischen Operationen gegen die Hisbollah beenden«; vielmehr beabsichtige es, »sie zu verstärken«.
    Olmerts Forderungen waren grundsätzlich legitim: die Freilassung der bei dem Überfall gefangen genommenen israelischen Soldaten, der Rückzug von der Grenze und die vollständige Entwaffnung der Hisbollah, wie von der Resolution 1559 des UN -Sicherheitsrats vorgesehen. Das bedeutete jedoch nicht, dass sie mit kriegerischen Mitteln durchsetzbar waren. Tatsächlich sprach alles, was wir über die Guerillakriegführung – im Nahen Osten und anderswo in der Welt – wussten, dafür, dass letztlich eine Lösung auf dem Verhandlungsweg gefunden werden musste, ganz gleich, wie lange und unerbittlich Israel libanesische Ziele angriff.
    Die
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