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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Autoren: Kofi Annan
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Zustimmung zu einem Waffenstillstand von der vorherigen Erfüllung der israelischen Bedingungen abhängig zu machen, war ein Rezept für einen endlosen Krieg. Das war mir schon in den ersten Stunden des Konflikts klar, und in den folgenden drei Wochen sagte ich es jedem, der Einfluss auf die Beteiligten besaß. Zehn Jahre qualvoller, verschleppter Verhandlungen mit Palästinensern und Israelis hatten mich eine bittere Lektion gelehrt: dass es zwecklos ist, die ersten Stufen einer Übereinkunft zwischen Todfeinden zu überspringen. Israel befand sich bereits an einer zweiten Front unter Druck, in Gaza. Dort hatte zwei Wochen zuvor die Hamas einen israelischen Grenzposten angegriffen, zwei Soldaten getötet und den jungen Unteroffizier Gilad Shalit entführt. Als Mann mit militärischem Hintergrund musste Olmert Entschlossenheit und Stärke demonstrieren. Dafür erhielt er gewissermaßen eine Blankovollmacht. Die Vereinigten Staaten waren wie Großbritannien der Ansicht, dass die Hisbollah den Israelis einen einzigartigen Anlass gegeben habe, eine Organisation zu vernichten, die im Libanon zu einem Staat im Staate geworden war. Washington schien zu dem Schluss gelangt zu sein, seine Pflicht im Frühstadium des Konflikts bestehe darin, der israelischen Luftwaffe Zeit zu verschaffen, um gegen die Bewegung vorzugehen und ihr, wie man hoffte, eine strategische Niederlage beizubringen.
    Für eine Organisation wie die Hisbollah bedeutete das bloße Überleben bereits einen Sieg. Seit ihrer Gründung als Reaktion auf den israelischen Einmarsch in den Libanon im Jahr 1982 war sie, ob es einem nun gefiel oder nicht, zu einem Teil der libanesischen Gesellschaft geworden. Ich selbst äußerte eine Woche nach Ausbruch des Konflikts in einer Rede vor dem Sicherheitsrat meine Missbilligung, indem ich der Hisbollah vorwarf, »mit Hunderten von unterschiedslos wirkenden Waffen absichtlich auf israelische Bevölkerungszentren« zu zielen. »Welcher anderen Agenda die Aktionen der Hisbollah auch dienen mögen«, so mein Urteil, »palästinensische und libanesische Interessen verteidigen sie nicht, auch wenn sie das behauptet. Im Gegenteil, sie nehmen eine ganze Nation als Geisel.«
    Da die Hisbollah nicht verlor, siegte sie. Für Israel hatte wesentlich mehr als ein weiterer Schlachtensieg auf dem Spiel gestanden. Der Mythos der Unbesiegbarkeit Israels – die strategische Abschreckung seiner Nachbarn – war jetzt in Gefahr. Als die Militär- und Staatsführung erkannte, dass sie sich verkalkuliert hatte, griff sie zu immer verzweifelteren Mitteln. In den nächsten drei Wochen führte Israel Luftangriffe auf die unterschiedlichsten Ziele durch, von vermuteten Hisbollahstellungen im Süden bis zu den Vororten von Beirut und sämtlichen wichtigen Verkehrsknotenpunkten wie Brücken, Straßen, Flugplätzen und Häfen. Der Staat Libanon wurde verstümmelt, und über tausend Zivilisten verloren ihr Leben – ohne den unterschiedslosen Raketenangriffen der Hisbollah Einhalt gebieten zu können. Sie schoss weiterhin unablässig Raketen ab, die bis nach Haifa flogen und über eine Million Israelis Nacht für Nacht in Angst versetzten und sie zwangen, Schutzräume aufzusuchen.
    Im Libanon hatten die israelischen und amerikanischen Entscheidungsträger versucht, die Politik des Landes mit militärischer Gewalt zu ändern. Ich hatte schon Jahre zuvor erfahren müssen, dass die Weltgemeinschaft die Kräfte, die in solchen Gesellschaften am Werk sind, nicht wirklich verstehen konnte. Im Jahr 2000 unternahm ich eine seit langem geplante Reise nach Pakistan, die zufälligerweise in die Zeit fiel, als die Taliban die Buddhastatuen von Bamiyan zerstörten. In Islamabad traf ich mit dem Mann zusammen, der die Taliban gegenüber Außenstehenden als deren »Außenminister« vertrat, Wakil Ahmad Mutawakil. Ich war im Marriott abgestiegen (das 2008 durch einen Bombenanschlag von Al-Qaida zerstört wurde), und als die Talibandelegation meine Suite betrat, war mir augenblicklich klar, dass wir es mit einem völlig neuen Phänomen internationaler Angelegenheiten zu tun hatten.
    Sechs bärtige junge Männer in traditionellen afghanischen Gewändern, von denen mehrere kaum über dreißig Jahre alt waren, betraten den Raum. Anscheinend waren sie noch nie zuvor einem Diplomaten begegnet. Einige schienen sogar der Übersetzung des Gesprächs kaum folgen zu können, und Mutawakil selbst antwortete auf meine wiederholten Appelle, die Zerstörung der Buddhastatuen zu
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