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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Autoren: Kofi Annan
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dem immer mehr private und öffentliche Akteure auf den Plan treten, hätte der abstrakte Anspruch auf Legitimität nicht genügt. Denn was hatte die einzigartige Legitimität der UNO schließlich den Männern und Jungen von Srebrenica oder den Ruandern in der Stunde ihrer größten Not genutzt? Sie waren von einem in vollkommener Einmütigkeit handelnden Sicherheitsrat ihrem Schicksal überlassen worden. Wenn wir den Vereinten Nationen in der neuen Ära eine Führungsrolle sichern wollten, mussten wir die Fehlschläge der Vergangenheit eingestehen und für die Zukunft eine Vision für eine neue Art zu handeln entwickeln. Viel zu lange war die Teilhabe an der UNO ausschließlich Staaten und ihren Repräsentanten vorbehalten gewesen. Und das machte sich bemerkbar. Nichtregierungsorganisationen ( NGO s) und junge Leute auf allen Kontinenten stellten leidenschaftlich und wirkungsvoll veraltete Dogmen und ungerechte Mechanismen in Frage, aber man hielt ihre Bewegungen nicht für einer ernsthaften Auseinandersetzung wert. Die Dynamik des Privatsektors, der die Wirtschaft in der entwickelten Welt und die Märkte in den Entwicklungsländern revolutionierte, wurde kaum beachtet. Stattdessen hatte man beim Betreten eines UN -Saals häufig das Gefühl, von einer Zeitmaschine mitten in die trockensten Nordsüddebatten der siebziger Jahre über Macht und Gerechtigkeit, Kapitalismus und Entwicklung versetzt worden zu sein.
    Vom ersten Tag meiner Amtszeit an erinnerte ich die Staatschefs daran, dass die UN -Charta nicht von ihnen spricht, sondern mit den Worten beginnt: »Wir, die Völker der Vereinten Nationen«. Von den Millenniumsentwicklungszielen bis zur Wiederbelebung des Kampfes gegen HIV/AIDS , von Abrüstung und humanitärer Hilfe bis zur Einbeziehung des Privatsektors der Wirtschaft durch den Globalen Pakt war ich bestrebt, die UNO den Völkern näherzubringen, denen zu dienen unser Daseinszweck war. Anstatt eine Organisation zu leiten, die den Regierungen der Welt verpflichtet war, stellte ich den Einzelnen in den Mittelpunkt unseres gesamten Handelns.
    Eine im 21. Jahrhundert angekommene UNO sollte neue Partnerschaften stiften, auf die Bedürfnisse von Einzelnen eingehen und für den Grundsatz einstehen, dass nationale Souveränität niemals als Schutzschild benutzt werden darf, hinter dem Unrechtsregime ungestraft einen Völkermord oder grobe Menschenrechtsverletzungen begehen können. Wenn sie den Herausforderungen eines globalen Zeitalters erfolgreich begegnen will, muss die UNO ein wesentlich breiteres Sicherheitsverständnis besitzen, das Frieden, Entwicklung, Gleichberechtigung der Frauen und Menschenrechte umfasst. Sie muss in Bezug auf die vier größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – Frieden und Sicherheit, Wachstum mit Entwicklung, Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit – eine entscheidende Rolle spielen.
    All das, so viel war mir klar, würde für die künftige Relevanz und Wirksamkeit der Vereinten Nationen von grundlegender Bedeutung sein. Doch während ich mich bemühte, diese langfristigen Ziele im Blick zu behalten, wurde ich ein ums andere Mal als Generalsekretär in einen Strudel von Konflikten hineingezogen, die ganze Gesellschaften zu zerstören drohten. Wenn die Vereinten Nationen wahrhaft eine Menschlichkeit repräsentieren sollen, die sich mehr – und nicht weniger – um das Leid in ihrer Mitte kümmert und mehr – und nicht weniger – unternimmt, um es zu beenden, dann muss sich die Organisation auf allen Gebieten der menschlichen Sicherheit engagieren und einmischen.

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UNABHÄNGIGKEIT
    Afrikanische Anfänge
    Mein Vater, Henry Reginald Annan, war von Natur aus kein Rebell. Als ghanaischer Manager eines europäischen Handelsunternehmens, Freimaurer und gläubiger Anglikaner in einer von Ahnenverehrung geprägten Stammeskultur sowie Erbhäuptling in einer Zeit radikalen Wandels war er nicht jemand, der sich festlegte. Und doch gab er all seinen Kindern afrikanische Namen, was für einen Mann seiner Herkunft und Stellung in der britischen Kronkolonie Goldküste in den 1930er und 1940er Jahren bereits ein Statement war. Für ihn war es kein Widerspruch, eine afrikanische Identität zu besitzen und europäisch zu denken, sowohl Nationalist als auch Traditionalist zu sein und einerseits den politischen Wandel anzustreben, andererseits aber die Werte von Respekt, Würde, Disziplin und harter Arbeit bewahren zu wollen, die sein eigenes Leben und seine Karriere geprägt
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