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Das entschwundene Land

Das entschwundene Land

Titel: Das entschwundene Land
Autoren: Astrid Lindgren
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Titel der Originalausgabe:
    ›Samuel August från Sevedstorp och Hanna i Hult‹
    Vollständige Ausgabe
    Oktober 2002
    3. Auflage Januar 2003
    Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG,
    München
    www.dtv.de
    © 1975, Astrid Lindgrcn, Stockholm
    © der deutschsprachigen Ausgabe:
    1977, Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg
    Umschlagkonzept: Balk & Brumshagen
    Um schlagfoto: © DPA Bilderdienst
    Gesetzt aus der Bembo
    Gesamtherste llung: Druckerei C. H. B e ck, Nördlingen
    Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier
    Printed in Germany · ISBN 3-423-20575-x
    Samuel August von Sevedstorp und Hanna in Hult
    Jetzt will ich eine Liebesgeschichte erzählen, keine, die ich gelesen oder mir ausgedacht, sondern nur eine, die ich gehört habe. Oft gehört habe. Darin ist mehr Liebe als in allen, die ich in Büchern fand, und für mich ist sie rührend und schön. Aber das liegt vielleicht daran, daß sie von zwei Menschen handelt, die meine Eltern werden sollten.
    Ein ganzes Leben lang dauerte sie, diese Liebesgeschichte, und sie begann irgendwann im Jahre 1888, als der 13jährige Samuel August von Sevedstorp im Gemeindehaus von Pelarne, wo die Kinder des Kirchspiels unterrichtet wurden, während der Repetitionsprüfung seine Blicke auf einem Mädchen ruhen ließ, das dicht neben dem eisernen Ofen saß. Es war die mit den Stirnfransen, die alle Fragen so gut beantworten konnte. Hanna hieß sie, neun Jahre war sie alt und stammte aus Hult. Hanna in Hult, in sie verguckte sich Samuel August. Sicherlich hatte er sie auch schon früher gesehen, aber nicht so wie jetzt.
    »Ich sah dich, und seit diesem Tage ich einzig dich auf Erden seh«, in der Art konnte sich Samuel August nicht äußern, denn er war ja nur ein småländischer Bauernjunge und kannte keine Gedichte. Sonst aber war es genau so.
    Für Samuel August hatte die Schule mit dieser Prüfung ein Ende. Und ein Ende hatte es auch damit, das Mädchen mit den Stirnfransen anzugucken. Von nun an hieß es, sich daheim auf Sevedstorp und den kleinen, steinigen Äckern abrackern. So lange bis er achtzehn war und fort mußte, um sich als Knecht zu verdingen. Mußte, jawohl, denn daheim gab es eine ganze Schar von Jungen, und das kleine Anwesen war nicht groß genug, sie alle zu ernähren.
    Zu seinem Onkel Per Otto auf Vennebjörke kam der junge Knecht. Sechzig Kronen hatte er an Jahreslohn, war aber während der Wintermonate fre 1. Da besuchte er einen Kursus an der Volkshochschule in Södra Vi, und was ihm dort geboten wurde, war die gesamte Bücherweisheit, die ihm im Leben zuteil wurde. Danach mußte er wohl oder übel wieder Knecht sein. Es war eine stumpfsinnige Plackerei, und es waren lange, trostlose Tage, die sich alle glichen. Außer einem. Einem ganz besonderen Tag. Ihn bewahrte Samuel August in seinem Gedächtnis, solange er lebte.
    Es war ein Samstag im August 1894. An diesem Tag machte sich Samuel August auf eine Wanderung, die über sein Leben entscheiden sollte. Und doch ging er nur heim nach Sevedstorp. Bis dorthin waren es zwanzig Kilometer, und er konnte sich erst auf den Weg machen, nachdem auf Vennebjörke das Tagewerk beendet war. Es wurde Abend und sogar Nacht, ehe er zu Hause ankam. Und wund lief er sich obendrein, so daß er den einen Schuh ausziehen und mit einem bloßen Fuß marschieren mußte. »Und so sehr hab ich mir'n Rad gewünscht, daß es reineweg wunderlich war, daß keins aus dem Erdboden auftauchte«, sagte er später immer, wenn er davon erzählte.
    Aber kein Fahrrad tauchte aus dem Erdboden auf. So gut es ging, mußte er weiterhumpeln, und als er endlich zu Hause in die Tür trat, war es Mitternacht geworden. Da lag seine Mutter auf den Knien und scheuerte die Küchendielen, aber Ida von Sevedstorp war lange Arbeitstage gewohnt, also war daran wohl nichts Besonderes. Ein wenig verwundert mag sie schon gewesen sein, als sie ihren Sohn so unverhofft in der Tür stehen sah, und noch mehr staunte sie, als sie hörte, warum er gekommen war. Ja, er habe nämlich von dem Onkel Per Otto erfahren, daß ab Frühjahr der Pfarrhof Näs bei Vimmerby zu pachten sei, und Onkel Otto habe auch gesagt: » Da weiß ich kein einen, der dafür besser passen tät als Schwager Samuel von Sevedstorp mit all seinen Jungs. « Was hielt Mutter von diesem Vorschlag, fragte Samuel August voll Eifer. Diesen Vorschlag hielt Mutter für schlechthin verrückt. Wo in aller Welt sollten Vater und sie denn das Geld für den Bestand an Vieh und Geräten hernehmen, den
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