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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Autoren: Kofi Annan
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und den Kontext für einen in Verhandlungen vereinbarten Übergang zu einem freien, repräsentativen Regierungssystem in Syrien zu schaffen. Zugleich war mir bewusst, dass die Alternative, ein bewaffneter Konflikt, in den globale und regionale Mächte hineingezogen würden und der in benachbarte fragile Länder hinüberschwappen würde, noch viel weiterreichende – und dauerhaftere – Folgen haben könnte. Dieser Konflikt war so komplex und virulent wie kaum ein anderer, mit dem ich in meiner fünfzigjährigen Laufbahn als Diplomat zu tun gehabt hatte.
    Die Krise in Syrien bestand nicht nur darin, dass eine Protestbewegung und Rebellengruppen gegen ein jahrzehntealtes Regime aufbegehrten, vielmehr bildete sie einen Mahlstrom, in dem die eifersüchtig gehüteten Interessen einer ganzen Reihe von regionalen Akteuren durcheinandergewirbelt wurden – von der Türkei und Israel über Jordanien, Saudi-Arabien und Katar bis zum Iran. Außerdem spielten die divergierenden Interessen Russlands, Chinas, der Vereinigten Staaten und der EU in den Konflikt hinein. Darüber hinaus war die syrische Gesellschaft mindestens so komplex wie die anderen Gesellschaften in der Region. Ihre Risse werden rasch zu ebenso tiefen und unüberbrückbaren Gräben wie jene im Libanon, und sie nehmen ein Ausmaß an, das einen Ausbruch der religiösen Gegensätze befürchten lässt, der sogar jenen im Irak nach 2003 übertreffen könnte. Dieser Konflikt droht einen Staat zu zerbrechen, der im Schnittpunkt zahlreicher regionaler und globaler Kräfte sowie religiöser und konfessioneller Rivalitäten liegt, in einer Region, die vom Extremismus heimgesucht wird. Und zu allem Überfluss verfügt Syrien über eines der größten Chemiewaffenarsenale der Welt.
    Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht verständlich, dass in der Presse die Ansicht vorherrschte – tatsächlich schien es die einzige zu sein –, meine Aufgabe sei eine »Mission impossible«. Denn wie konnte es in einer solchen Krise auch nur die Möglichkeit einer friedlichen Umgestaltung der syrischen Gesellschaft geben? Mir war klar, dass ich mich bei dieser Intervention auf einem dünnen, aus einem Dutzend einzelner Stränge geknüpften Drahtseil bewegen würde. Ich konzentrierte mich zunächst darauf, die Gegensätze im Sicherheitsrat zu überbrücken, und nachdem ich für meinen Sechs-Punkte-Plan die Zustimmung aller Seiten gewonnen hatte, begann ich mich – mit starker internationaler Unterstützung – mit dem Regime auseinanderzusetzen.
    Anfangs, im März 2012, akzeptierte sowohl die syrische Regierung als auch die Opposition meinen Friedensplan. Während ich dies schreibe, zwei Monate später, ist die Gewalt wieder aufgeflammt und fordert schreckliche Opfer unter der syrischen Bevölkerung. Den Mitgliedern des Sicherheitsrats und jenen Ländern, die Einfluss auf Syrien besaßen, war klar, was ich von ihnen verlangte: Wenn die Gewalt in Syrien zu Ende gehen und der Übergang zu einer legitimen Regierung gelingen sollte, mussten sie der Diplomatie zum Erfolg verhelfen, indem sie gemeinsam Druck ausübten.
    Syrien steht wie kaum ein anderes Land der arabischen Welt vor einer schwierigen, ungewissen Zukunft. Damaskus wird eine Veränderung erleben – das weiß das Regime ebenso wie die Region und die Welt. Die Frage ist, ob sie durch einen blutigen, zerstörerischen Bürgerkrieg herbeigeführt wird oder ob der Anspruch der Syrer auf wahre Freiheit und Bürgerrechte durch einen friedlichen Übergang zu einer repräsentativen Regierungsform erfüllt wird.
    So wie jeder von uns auf Syrien schauen und sehen kann, welchen Preis seine Bürger zahlen, um Freiheit und Würde zu erlangen, sollten wir als Weltgemeinschaft die mühsam erworbenen Lehren der Vergangenheit beherzigen und zu verhindern versuchen, dass Ungerechtigkeit und Ungleichheit Fuß fassen – lange bevor sie in Krise und Konflikt münden. Eine Kultur der Vorbeugung kann weit effektiver sein als ein Slogan. Wir wissen, dass die drei Säulen Sicherheit, Entwicklung sowie Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte als solche unentbehrlich sind und sich gegenseitig benötigen, um sicherzustellen, dass keine von ihnen durch die Schwäche einer anderen geschwächt wird. Die Lehre aus der Krise des öffentlichen Vertrauens und der Regierungssysteme, welche die Welt von Arabien über Europa bis Asien erfasst hat, lautet, dass ungleiche Entwicklung und mangelnde Sicherheit ohne Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte nicht zu beheben
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