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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Autoren: Kofi Annan
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erhalten sie so eifrig getrachtet hatten und zu deren Verteidigung sie vorgeblich handelten. Ihre Art, die Autorität der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrats zu verteidigen, bestand darin, beider Autorität zu ignorieren, als deren Haltung ihnen nicht passte. In einer für einen Parlamentarier ungewöhnlichen Argumentationskette befand Tony Blair, dass der Sicherheitsrat – und nicht die USA und Großbritannien – seine Legitimität verloren habe, als er dem Vorhaben der Koalition seine Zustimmung verweigerte.
    Der Irakkrieg stand weder im Einklang mit der UN -Charta, noch war er legitim. Darüber hinaus änderten die Befürworter des Krieges ständig ihre Rechtfertigung. War es die Nichterfüllung der Sicherheitsratsresolutionen durch den Irak? Oder die Unterstützung des Terrorismus? Oder ein Regimewechsel und die Förderung der Demokratie? Massenvernichtungswaffen wurden im Irak jedenfalls nicht gefunden, noch konnten Verbindungen zu al-Qaida nachgewiesen werden, und das Konzept des Regimewechsels, das die große Mehrheit der UN -Mitgliedsstaaten bereits verworfen hatte, führte fast zwangsläufig zu verheerenden Folgen sowohl für die Besatzer als auch für die Besetzten. In meiner Rede vor der Generalversammlung im Jahr 1999 hatte ich festgestellt, nach den Worten der UN -Charta dürfe »Waffengewalt nicht eingesetzt werden … es sei denn, im allgemeinen Interesse«. »Aber was ist dieses allgemeine Interesse?«, fragte ich. »Wer soll es definieren? Wer soll es verteidigen? Unter wessen Autorität? Und mit welchen Interventionsinstrumenten?« Ich hatte nicht gedacht, dass die Antworten auf meine Fragen derart unterschiedlich ausfallen würden und es derart düstere Konsequenzen haben würde wie die Kriege von 9/11 und deren Folgen.
    Was als Krieg gegen den Terror bekannt wurde, war ursprünglich eine mit breiter internationaler Zustimmung gegebene Antwort auf die Anschläge vom 11. September 2001. Aber als die Vereinigten Staaten in zunehmendem Maß eigene Wege gingen – gegenüber dem Irak und durch ihr Vorgehen in Afghanistan und anderswo im Zuge der weltweiten Jagd nach Al-Qaida-Zellen –, zerbröckelte der internationale Konsens. Den größten Schaden bei den Menschen in der moslemischen Welt, die unter den Folgen dieser Kriege zu leiden hatten, richteten die Misshandlungen und Verbrechen in Gefangenenlagern wie Abu Ghraib an. Auf allgemeinerer Ebene machten sich viele Regierungen die Idee zu eigen, dass ein Kompromiss zwischen Menschenrechten und Sicherheit notwendig sei – was ein erheblicher Rückschlag für die Verbreitung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit ist. Als Modell für die eigene Missachtung rechtsstaatlicher Verfahren verweisen viele auf das amerikanische Gefangenenlager in Guantanamo.
    In den Kriegen von 9/11 ging es letztlich auch um den Zweck der Vereinten Nationen, um den Gegensatz zwischen denjenigen, nach deren Ansicht die UNO und die multilateralen Prinzipien, die sie verkörpert, einen Zweck in sich selbst darstellen, und denjenigen, die in der UNO und ihren Resolutionen nützliche Mittel zum Zweck sehen, ob diese in den Augen der Welt nun legal und legitim sein mögen oder nicht. In der Konfrontation zwischen Saddam Hussein und George W. Bush traf ein tyrannischer Meister der Fehlkalkulation auf einen ideologisch motivierten Staatsmann, den ein Schock dazu getrieben hatte, unilaterale Vergeltung an allen vermeintlichen Feinden zu üben. Infolgedessen standen die Vereinten Nationen zwei Herausforderungen gegenüber, die nicht gleichzeitig zu bewältigen waren: der Widersetzlichkeit eines Schurkenstaats gegen vom Sicherheitsrat auferlegte Verpflichtungen und der Entscheidung der einzigen Supermacht der Welt, das wohlüberlegte Urteil einer Mehrheit der Sicherheitsratsmitglieder zu ignorieren und einen Krieg zu führen, der nach der UN -Charta nicht zu rechtfertigen war.
    Durch dieses Verhalten erweckten die Vereinigten Staaten bei vielen in der Welt – auch bei langjährigen Verbündeten – den Eindruck, dass sie zu einer größeren Gefahr für die globale Sicherheit wurden als alles, was Saddam anrichten mochte. Dies war eine selbst zugefügte Verletzung von historischem Ausmaß, die dem Ansehen der Vereinigten Staaten in der Welt unermesslichen und möglicherweise dauerhaften Schaden zugefügt hat. Abu Ghraib ist ebenso wenig wie Guantanamo aus dem Nichts entstanden. Die Missachtung des rechtsstaatlichen Vorgehens in diesen Lagern hat dem weltweiten Kampf
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