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Ein König für Deutschland

Ein König für Deutschland

Titel: Ein König für Deutschland
Autoren: Andreas Eschbach
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unternehmen, auch wenn es regnete oder stürmte. Nicht selten erkannte man ihn dabei, und viele grüßten ihn ehrerbietig mit »Grüß Gott, Majestät«.
    Sie wurden oft eingeladen, zu Eröffnungsfeiern, Staatsempfängen, Preisverleihungen oder Vernissagen, um Urkunden zu überreichen oder kurze Reden zu halten.
    Simon wurde außerdem häufig gebeten, vor Schulklassen zu sprechen, Helene ersuchte man um Besuche in Altersheimen, Frauenzentren oder Krankenhäusern. Wenn es sich um Karitatives handelte, folgten sie gerne allen Einladungen, soweit sie sich mit ihrem gefüllten Terminkalender vereinbaren ließen, und in den folgenden Jahren sollten Fotografien, die Simon, Helene oder beide in Kindergärten, an Krankenbetten oder mit jugendlichen Siegern von Sportveranstaltungen zeigten, zum ständigen Inventar des Lokalteils der Stuttgarter Zeitungen gehören.
    Sie empfingen regelmäßig auch selber Gäste; Einladungen »von Königs« gehörten bald zu den begehrtesten gesellschaftlichen Ereignissen. Allerdings musste ein Bankdirektor damit rechnen, am Tisch zwischen einer Verkäuferin und einer Tierschützerin zu sitzen, und eine Primaballerina darauf gefasst sein, miteinem Rotkreuzhelfer, einem ehrenamtlichen Fußballschiedsrichter oder einem Lehrer für Französisch, Englisch und, wenn Not am Mann war, Deutsch ins Gespräch zu kommen, denn »Königs« nahmen keine Rücksichten auf das übliche gesellschaftliche Etagendenken.
    Immer wieder geschah es, dass Leute Simon auf der Straße oder bei sonstigen Gelegenheiten ansprachen, um ihm die Probleme zu schildern, die sie bedrängten. Wer das tat, lief Gefahr, daraufhin ernst ins Gebet genommen zu werden: wenn nämlich Simon im Gegensatz zu ihm der Auffassung war, er sei an seinem Unglück selber schuld. Man bekam in dem Fall samt der Analyse auch gleich ausführliche Anweisungen, wie man den Missstand beheben solle.
    Manchmal aber wurde Simon nach einer solchen Begegnung auch beim Oberbürgermeister vorstellig, der ihn zwar nur, juristisch korrekt, mit »Herr König« anredete, ihn aber jederzeit empfing und ihm stets aufmerksam zuhörte.
    Und manchmal … Ja, manchmal bewirkte das etwas.
    Die wenige Freizeit, die Helene und Simon in ihrem neuen Leben blieb, verbrachten sie bisweilen einfach nur gemeinsam vor dem Fernsehgerät. Ein solches besaßen sie nämlich nun wieder, auf Helenes Initiative, die in den Jahren ihrer Trennung eine ausgesprochene Vorliebe für die Flimmerkiste entwickelt hatte. Simon fügte sich einigermaßen bereitwillig, und bald darauf war ihm die abendliche Tagesschau wieder, wie früher, unverzichtbar.
    So kam es, dass sie beide vor dem Fernseher saßen, als der Innenminister auf einer Pressekonferenz eine dickleibige Studie vorstellte, in der die Ereignisse, Vorfälle und Zweifelsfragen des »Königsherbstes« angeblich genau analysiert worden waren. In der Konsequenz, erklärte der Minister anschließend, werde man in Bälde neue, grundlegend verbesserte Wahlcomputer einführen, die so konstruiert seien, dass mit ihnen kein Betrug mehr möglich sei.
    Noch während der Beitrag lief, stand Simon auf, holte das Telefon und sein Adressbüchlein.
    »Was tust du da?«, fragte Helene verwundert.
    »Heutzutage müssen offensichtlich die Könige die Demokratie verteidigen«, erklärte Simon und begann zu wählen. »Wenn es sonst niemand tut.«

    – ENDE –

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