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Ein König für Deutschland

Ein König für Deutschland

Titel: Ein König für Deutschland
Autoren: Andreas Eschbach
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hatte, in verbotenes Territorium einzudringen, las er die Einträge seiner Mutter über seinen Vater, wie sie ihn kennengelernt und wie sie ihn verführt hatte. Vieles von dem, was er las, sollte er erst Jahre später verstehen, aber er fand den Namen seines Vaters und seine Adresse. Eine Adresse in Deutschland. Er musste auf einer Landkarte nachsehen, wo das lag. Nach einigem Nachdenken schrieb er seinem Vater heimlich einen Brief, nicht ahnend, dass er damit dessen Scheidung auslöste.
    Vincent erreichte Florida im Mai des Jahres 1998, fuhr ohne konkreteres Ziel umher und landete schließlich in Daytona Beach. Hier verbrachte er ein paar Wochen in einem winzigen Haus zwischen Palmen, von dem aus es nicht weit bis zum Strand war, und stellte in dieser Zeit Folgendes fest: Erstens, dass er es langweilig fand, an einem Strand herumzuliegen. Zweitens, dass der Monitor seines Computers empfindlich spiegelte, eine Eigenschaft, die sich in einer sonnigen Gegend unangenehmer bemerkbar machte als im eher trüben Pennsylvania. Und drittens, dass es zwar schrecklich lange dauerte, Ersparnisse anzusammeln, sie aber schrecklich schnell zur Neige gingen, wenn man davon zu leben versuchte.
    Mit anderen Worten: Er brauchte einen Job.
    Vincent hatte sich das Programmieren selbst beigebracht und war gut darin. Um genau zu sein, war er der Beste, seiner Überzeugung nach zumindest. Seine bisherigen Arbeitgeber hattendiese Überzeugung zwar nicht unbedingt geteilt, waren im Prinzip aber zufrieden mit seiner Arbeit gewesen, und hätte er nicht mehr gemacht als diese – hätte Vincent seine Freizeit mit, sagen wir, Baseball, Fernsehen oder Mädchen verbracht –, es hätte nie Probleme gegeben. Aber Vincent hielt wenig von Sport, ertrug das Stillsitzen vor einem Fernseher nicht und war in Bezug auf Mädchen der Ansicht, dass sie einen bei allen Vorzügen doch sehr von der Arbeit abhielten. Denn Vincent verbrachte auch seine Freizeit am liebsten mit Arbeit, vorausgesetzt, diese Arbeit hatte mit Computern zu tun.
    An Jobangeboten für derart disponierte Leute herrschte auch in Florida kein Mangel. Leider erfuhren aber die meisten Firmen, bei denen er vorstellig wurde, auf irgendeine Weise – bei der zweifellos ebenfalls Computer eine tragende Rolle spielten – von seiner Verurteilung und seiner Gefängnisstrafe und zeigten sich danach wenig geneigt, ihn einzustellen. So vergingen die Wochen, und seine Ersparnisse nahmen mit bedenklicher Geschwindigkeit weiter ab, nicht zuletzt, weil er den Radius seiner Suche immer mehr ausdehnen und deswegen mehr fahren musste.
    In Oviedo, einem Ort in der Nähe von Orlando, fand er schließlich ein Unternehmen, das sich an seinem Vorleben nicht störte. Es handelte sich um eine Softwarefirma namens SIT, Sanchez Information Technology, deren Inhaberin, Consuela Margarita Sanchez, eine dralle kleine Exilkubanerin, sich im Gegenteil an den fachlichen Details seiner Untat überaus interessiert zeigte. »Ein Trojaner?«, wiederholte sie mit unverkennbarer Faszination. »Und Sie haben fünfzigtausend Kreditkartennummern damit gestohlen?«
    Vincent schüttelte entschieden den Kopf. »Das war der andere. Der sitzt noch.« Ihn schauderte bei dem Gedanken, wie es seinem ehemaligen Kollegen dabei ergehen mochte. »Ich habe bloß das Programm geschrieben. Ich hatte keine Ahnung, was er vorhatte.«
    Das entsprach, obwohl ihm das der Richter nicht geglaubt hatte, der Wahrheit. Zumindest insoweit, dass Vincent nicht im Detail gewusst hatte, was Craig mit dem Trojanerprogrammvorgehabt hatte. Dass er etwas damit vorgehabt hatte, war ihm durchaus klar gewesen; er hatte sich aber eingeredet, dass Craig bestimmt nur jemandem bei der Bank, die sich als unerfreulicher Kunde erwiesen hatte, einen Streich spielen wollte. In Wirklichkeit hatte er einfach der Gelegenheit nicht widerstehen können, Craig zu zeigen, wer der bessere Programmierer war.
    »Und wieso hat man Sie erwischt?«
    Vincent wand sich auf seinem Stuhl. »Weil ich meine Signatur darin versteckt hatte. So eine Angewohnheit von mir.«
    Das Trojanerprogramm hatte sich auf den Rechnern der Kreditkartenabteilung eingenistet, sich deren Mitarbeitern gegenüber als regulärer Login-Schirm ausgegeben und alle Passwörter an Craig weitergeleitet. Der hatte sich damit Zugang verschafft, Tausende von gültigen Kreditkartennummern abgerufen und übers Internet verkauft.
    Und nicht dran gedacht, den Trojaner wieder zu löschen.
    Consuela lächelte von einem ihrer dicken
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