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Ein König für Deutschland

Ein König für Deutschland

Titel: Ein König für Deutschland
Autoren: Andreas Eschbach
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erzählte. Eine Menge Leute zweifelten an einer Menge Dinge – an ihren Stromrechnungen, Steuerbescheiden oder daran, dass die Mondlandung tatsächlich stattgefunden hatte.
    Bloß an Wahlmaschinen schien niemand Anstoß zu nehmen.
    Es lag daran, erkannte Vincent, dass normale Leute keine Ahnung von Computern hatten. Sie waren es gewöhnt, dass Knöpfe zu drücken genau das bewirkte, was es bewirken sollte. Wenn man an einem Getränkeautomaten die Taste drückte, auf der » SevenUp « stand, dann landete eine eisgekühlte Flasche SevenUp im Ausgabefach. Wenn man am Telefon eine bestimmte Nummer wählte, erreichte man die Person, der diese Nummer gehörte. Wenn man an einem Bankautomaten das Feld berührte, auf dem »$60« stand, dann bekam man sechzig Dollar ausgezahlt, nicht mehr und nicht weniger.
    Worüber sich niemand im Klaren zu sein schien, war, dass all das nur deswegen funktionierte, weil keine anderweitigen Absichten im Spiel waren. Niemand hatte etwas davon, jemandem, der SevenUp trinken wollte, eine Flasche Cola zu verkaufen – das hätte nur endlose Scherereien nach sich gezogen.
    Tatsächlich aber existierte in modernen Maschinen keine zwangsläufige Verbindung mehr zwischen einer Taste und dem, was sie bewirkte. Wenn man das Feld »$60« auf dem Touchscreen des Bankautomaten drückte, lieferte einfach ein Bildschirmtreiber zwei Koordinaten, nämlich die des Punktes, an dem man den Schirm berührt hatte. Eine zweite Softwareschicht errechneteaus diesen Koordinaten, welches Feld gemeint war; gab vielleicht gleichzeitig einen Impuls an einen anderen Prozess weiter, der mit einem kleinen Lautsprecher gekoppelt war und bewirkte, dass darüber ein Geräusch erzeugt wurde, das klang wie das Drücken einer Taste. Oder auch nur ein Piepsen, je nachdem, wie das programmiert worden war.
    Erst der danach folgende Ablauf – zu ermitteln, ob das Konto ausreichende Deckung aufwies und, wenn ja, die übrige Maschinerie zu veranlassen, die entsprechenden Geldscheine aus dem Reservoir zu holen und in das Ausgabefach zu legen – führte dazu, dass man bekam, was man verlangt hatte. Aber man bekam es, weil die Bank kein Interesse daran hatte, einem mehr oder weniger Geld auszuhändigen als gewünscht.
    Das war bei einer Wahl anders: Da gab es jede Menge Leute, die ein Interesse an einem bestimmten Wahlausgang hatten – darum ging es ja schließlich.
    Die dicke Frau in dem grün karierten Jackett, die nach ihm die Wahlkabine betreten hatte, kam wieder zum Vorschein, sichtlich froh, eine eher lästige Pflicht als abgehakt betrachten zu können. Er stand hier nur im Weg herum, sagte sich Vincent und folgte ihr nach draußen.
    Vor der Tür trat jemand mit einem Klemmbrett in der Hand auf ihn zu und wollte wissen, wie alt er sei und wen er gewählt habe.
    »Al Gore«, log Vincent. Was ging den das an?
    Auf dem Heimweg sagte er sich, dass sein ungutes Gefühl bestimmt nur eine Nachwirkung der Arbeit für Frank Hill, den Abgeordneten, war und mit der Zeit vergehen würde.
    ***
    Am Abend ging Vincent früher nach Hause, als er es an einem normalen Tag getan hätte, fegte die Chipskrümel vom Sofa und setzte sich mit einem Bier vor den Fernseher, um die Auszählung der Stimmen zu verfolgen.
    Bereits die ersten Ergebnisse, die hereinkamen, zeigten, dassdie Wahl knapper ausgehen würde als erwartet. Die Südstaaten hatten für Bush gestimmt, der außerdem in Ohio, Indiana, den meisten Staaten des mittleren Westens und der Rocky Mountains gewonnen hatte. Gore hatte den Nordosten sicher – mit Ausnahme von New Hampshire, wo Bush sehr knapp gesiegt hatte –, die meisten der Staaten um die Großen Seen sowie entlang der Pazifikküste. Den Hochrechnungen zufolge konnten sowohl Al Gore wie auch George W. Bush jeweils achtundvierzig Prozent der Wählerstimmen für sich verbuchen. Es würden die verbleibenden vier Prozent sein, deren Verteilung die Wahl entschied.
    Schließlich waren nur noch eine Handvoll Staaten offen. Wisconsin und Iowa hatten noch kein verlässliches Ergebnis. Desgleichen New Mexico und Oregon.
    Und Florida. Florida bedeutete fünfundzwanzig Wahlmännerstimmen. Fünfundzwanzig Stimmen, die nach dem Stand der Dinge alles entscheiden würden. Derjenige, der Florida gewann, würde der nächste Präsident der Vereinigten Staaten werden.
    Zwölf Minuten vor acht Uhr gab NBC bekannt, nach Hochrechnung der ersten Auszählungen sowie den Wählerbefragungen ginge Florida an Al Gore. Zwei Minuten und elf Sekunden später
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