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Ein König für Deutschland

Ein König für Deutschland

Titel: Ein König für Deutschland
Autoren: Andreas Eschbach
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bedeutete, Datenbestände zu sichern, zu konvertieren und in die neuen Tabellen zu übertragen, alles ohne Fehler natürlich. Vincent hatte die Aufgabe, einmal pro Woche die vier Stunden lange Autofahrt auf sich zu nehmen, um »nach dem Rechten zu sehen«.
    Zu sehen gab es nicht viel: drei Männer in einem kleinen Kellerraum voller Computer und Kabelkästen, die kaum aufblickten, wenn er kam. Ramesh schien entschlossen, die Tastatur vor sich in Trümmer zu tippen. Fernando bohrte mit stieren Blicken Löcher in den Bildschirm und zerkaute dabei seine Unterlippe, weil ihm als dem Gründlichsten der ganzen Firma die Konvertierung der Datenbestände oblag. Allenfalls Steve kam auf einen Kaffee mit auf den Flur, erzählte ein bisschen, wie es so ging, und schloss seinen Bericht regelmäßig mit der Feststellung, man hätte, wenn man schon dabei war, das System von Grund auf neu konzipieren sollen.
    Da Vincent die Zeit bis zur Rückfahrt irgendwie herumbringen musste, sah er sich in den Archivbeständen um. Er stöberte durch Karteischränke mit historischen Luftaufnahmen von Florida, stieß auf maschinengeschriebene Listen von Ernteerträgen an Zitrusfrüchten 1940–1949, auf Protokolle von Genehmigungsverfahren für Flughäfen, auf die persönlichen Notizen von Bob Graham, dem 38. Gouverneur von Florida, und auf Sitzungsprotokolle, Kostenvoranschläge und Rechnungen rund um das John F. Kennedy Space Center in Cape Canaveral.
    Und auf die Originalunterlagen der Präsidentenwahl 2000: die gesamte Korrespondenz rund um die Frage der Verlängerung der Frist für die Nachauszählung – gedruckte E-Mails, Faxe, Briefe, Telefonprotokolle, Memoranden. Die von den Wahlaufsehern gemeldeten und beeideten Auszählungsergebnisse der einzelnen Distrikte und Bezirke. Berichte über ungewöhnliche Vorkommnisse – Störungen des Wahlverlaufs, Beschädigungen, Auseinandersetzungen.
    Und Berichte über Fehlfunktionen der Geräte.
    Wer nur die Nachrichten verfolgt hatte, musste den Eindruck gewonnen haben, in Florida sei ausschließlich mit zu lochenden Stimmkarten gewählt worden. Wenn Vincent es nicht selber anders erlebt hätte, hätte er das auch geglaubt.
    Tatsächlich war eine Vielfalt von Stimmzetteln zum Einsatz gekommen. Stimmzettel auf Karton, bei denen man neben dem Kandidat seiner Wahl ein Loch stanzen musste. Stimmzettel auf Papier, bei denen man den Kandidaten seiner Wahl ankreuzte.
    Und Stimmzettel, die auf Touchscreen-Bildschirmen angezeigt worden waren.
    In Volusia County war es in der Wahlnacht zu einem technischen Versagen von Geräten der Firma Diebold gekommen. Die zentrale Auswerteeinheit hatte für den Präsidentschaftskandidaten einer sozialistischen Partei über neuntausend Stimmen ausgewiesen, für den demokratischen Kandidaten Al Gore dagegen minus sechzehntausend 6 . Die für die Durchführung der Wahl Verantwortlichen hatten daraufhin den Computer neu gestartet, der anschließend ein neues Ergebnis errechnet hatte: 97 063 Stimmen für Bush und 82 214 Stimmen für Gore 7 . Dieses Ergebnis wurde, da es vernünftig aussah, gemeldet.
    Vincent brach der Schweiß aus, wie er da zwischen den metallenen Regalen stand und diesen Bericht las. Gut, das konnte ein Fehler in der Software des Herstellers sein. Das war die wahrscheinlichste Erklärung.
    Bloß – wie wahrscheinlich war es, dass ein Hersteller von Wahlcomputern seine Software nicht so absichern würde, dass sie keine Minuswerte für die Auszählung abgegebener Stimmen ausgeben konnte?
    Vincent war diese Möglichkeit nicht in den Sinn gekommen, deswegen hatte sein Programm keine solche Prüfroutine. Andererseits hatte man von ihm auch nur einen Prototypen verlangt.Er hatte das Ding mehr oder weniger aufs Geratewohl in die Maschine gehämmert …
    Er schloss die Akte, legte sie zurück, atmete tief durch. Die Luft roch staubig.
    Das interessierte niemanden mehr, sagte er sich.
    ***
    Die Sache mit Rosie ging gut bis zu einem Dienstagmorgen im September, an dem sie nebeneinander auf dem Rand der Badewanne saßen und zusahen, wie sich in der ovalen Aussparung der Plastikumhüllung eines Schwangerschaftstests nach und nach zwei lila Streifen bildeten.
    Genauer gesagt ging es gut bis zu dem Moment, in dem Vincent, ohne nachzudenken, »Oje« sagte.
    »Was heißt das?«, fragte Rosie mit dünner Stimme.
    Das wusste Vincent in dem Moment selber nicht so genau, aber vorsorglich räumte er ein, sich nicht sicher zu sein, ob er schon reif genug sei für ein Kind und
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