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Ein Kerl macht noch keinen Sommer

Ein Kerl macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Kerl macht noch keinen Sommer
Autoren: Milly Johnson
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ließ.
    Nicht dass Raychel irgendetwas von alledem mit ihren Kolleginnen erörtert hätte. Sie arbeiteten alle seit einer Ewigkeit in derselben Abteilung und waren dennoch über ein »Morgen, schöner Tag heute« oder »Schönes Wochenende« – und hin und wieder vielleicht ein paar Worte über die Arbeit – nicht hinausgekommen. Sie waren alle durchaus nette Frauen, aber der Altersunterschied zwischen ihnen war eben sehr groß. Und jetzt würde bald noch eine Frau zu ihnen stoßen. Raychel fragte sich, wie diese ganze Umstrukturierung die Dynamik in der Abteilung beeinflussen würde, aber so wichtig war es ihr nun auch wieder nicht. Die Arbeit war dazu da, dass man sich auf den Hosenboden setzte und seine Brötchen verdiente, sonst nichts.
    Anna drückte Brian einen dicken Kuss auf die Wange. Für einen Chef war er ein netter Mann, der, ehrlich gesagt, die Schnauze einfach gestrichen voll hatte. Er hatte seiner Pensionierung schon seit längerer Zeit entgegengefiebert und die Leitung der Abteilung zum Großteil bereits Malcolm überlassen. Zum Glück würde dieser Widerling jetzt auch das Feld räumen. Aber er war nicht sehr froh über seine Versetzung zum Käse, das war nicht zu übersehen. Er war selbst zu seinen besten Zeiten ein echter Miesepeter. Es war, als ob er jeden Morgen Streit mit seiner Frau hätte und es darauf anlegte, die Büroluft mit seiner schlechten Laune zu verpesten. Zu seinen Untergebenen war er immer so unhöflich. Die Wörter »Bitte« und »Danke« kamen in seinem Wortschatz nicht vor, und er bellte einfach nur »Tee«, wenn er etwas zu trinken haben wollte. Außerdem hasste sie es, wie sein Blick zu ihren Brüsten glitt, wenn er mit ihr redete. Sie fragte sich, was für eine Frau ihn attraktiv genug gefunden hatte, um ihn zu heiraten. Aber offenbar war er doch beziehungsfähig: Er war seit über fünfzehn Jahren verheiratet, und das war mehr, als sie von sich behaupten konnte.
    Anna hörte zu, wie Brian immer aufgeregter von seinem Campingurlaub am Meer im kommenden Sommer redete. Sie beneidete ihn um diese Begeisterung für etwas. Es gab absolut nichts, worauf sie sich freute, weder an diesem noch am nächsten Wochenende. Für die Geschichten aus der Coronation Street konnte sie sich einfach nicht begeistern, sie hatte auf nichts Bestimmtes Appetit und offenbar die Fähigkeit verloren, sich in ein Buch zu vertiefen und sich das Bild aus dem Kopf zu schlagen, wie ihr Verlobter die neunzehnjährige Aushilfe in seinem Friseursalon vögelte. Das Leben dehnte sich vor Anna aus – länger, grauer und nasser als die ganze englische Küste im Februar.
    Grace nahm Brians Pensionierungsgeschenk in die Hand, um es zu begutachten – einen sehr laut tickenden Reisewecker. Sie konnte fast hören, wie er im Takt »stirb langsam, stirb langsam, stirb langsam« sagte.
    »Sie werden als Nächste dran sein, mit ein bisschen Glück!«, flüsterte ihr Brian ins Ohr.
    »Wa…as?« Grace riss sich rasch zusammen. »O ja, gut möglich.« Gott behüte . Bei der Vorstellung, dort zu stehen, wo Brian jetzt stand, und ihre eigene Uhr zu bewundern, während mit billigem lauwarmem Fusel auf sie angestoßen wurde, lief ihr der Schweiß kalt und feucht über den Rücken. Auf einmal wurde sie von einem ganz leichten Schwindel übermannt.
    Stirb langsam, stirb langsam, stirb langsam.
    »Ich verstehe ja nicht, wieso Sie unbedingt noch eins draufsetzen wollen, wo Sie doch selbst die Gelegenheit haben, hier die Segel zu streichen und sich ein geruhsames Leben zu machen. Hätte leicht auch Ihre Pensionierung sein können«, sagte Brian lächelnd.
    »Ach, na ja, Sie kennen mich doch, ich brauche die Herausforderung«, sagte Grace. Sie hatte über drei Jahre für Brian gearbeitet und mochte seine fröhliche Art, auch wenn er ein Mann war, der nie jung gewesen und einfach glücklich vor sich hin gealtert war. Er würde es so genießen, nicht mehr jeden Morgen den Wecker stellen zu müssen und seine Tage stattdessen mit eifrigem Nichtstun zu verbringen. Abgesehen von seinem sonnigen Gemüt erinnerte sie so vieles an ihm, beängstigend vieles sogar, an ihren Ehemann Gordon, während er von den Freuden des Ruhestands schwafelte.
    Grace’ Gedanken schweiften ab. Hätte sich Brian als Siebzehnjähriger in den Tanzsälen je träumen lassen, dass er eines Tages hier stehen und sich darauf freuen würde, mit einer neuen Mikrowelle im Gepäck nach Skegness zu fahren? War das das Ziel seiner Wünsche gewesen? Oder war Grace, die
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