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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom
Autoren: Val McDermid
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Sie haben angefangen zu töten, um die Psychologen an dem zu hindern, was sie taten. Aber wenn niemand das begreift, ist alles nur Zeitverschwendung gewesen. Nichts wird sich ändern. Die Psychologen werden weiter die Köpfe der Leute durcheinander bringen. Und Sie werden im Gefängnis sitzen. Oder noch schlimmer. Weil sie wissen, dass Sie der Täter sind, Willi. Und früher oder später werden sie es auch beweisen.«
    Mann stieß einen rauen Laut aus, der vielleicht ein Lachen sein sollte. »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
    Tony setzte sich auf einen hohen Stuhl am Kartentisch. Das Geheimnis, wie man jemanden wie Mann dazu bringen konnte, sich zu öffnen, bestand darin, seine Reaktionen abzulesen und den Vorstoß entsprechend zu verändern. Es brachte nichts, eine Vorgehensweise sorgfältig im Voraus auszuarbeiten. Er hatte den Kurs schon einmal gewechselt, und es war Zeit, es wieder zu tun. Jetzt war seine beste Waffe, vorzutäuschen, er wolle ganz logisch vorgehen. Er musste so tun, als sei das, was er sagte, selbstverständlich und nicht weiter bemerkenswert. »Sie können es so sehr abstreiten, wie Sie wollen. Aber Sie werden beobachtet. Wenn Sie morgen Abend, oder übermorgen, oder noch einen Abend später ausgehen, werden sie Sie verfolgen. Sie werden Sie nicht noch jemanden umbringen lassen, Willi. Wenn Sie auf mich hören, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder Sie hören auf, oder Sie werden erwischt. Und so oder so wird niemand Ihre Botschaft hören.«
    Mann rührte sich nicht. Er starrte Tony nur an und atmete schwer durch die Nase.
    Tony beugte sich mit ernstem Gesicht vor. »Deshalb brauchen Sie mich. Weil ich der Einzige bin, der bis jetzt verstanden hat, was Sie sagen wollen. Kommen Sie mit. Geben Sie auf. Ich werde dafür sorgen, dass sie die Botschaft hören. Normale Menschen werden mit Ihnen fühlen. Sie werden Sie verstehen. Sie werden entsetzt sein darüber, was Ihnen und Ihrem Großvater geschehen ist. Jeder zivilisierte Mensch wäre entsetzt. Man wird die Psychologen zwingen, das zu verantworten, was sie getan haben. Man wird darauf bestehen, dass sie aufhören, den Schaden anzurichten, der Ihre Kindheit so beklagenswert gemacht hat. Sie werden gewonnen haben.«
    Mann schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, warum Sie mir dies alles sagen«, antwortete er verbissen. Auf seiner Oberlippe glänzte eine dünne Schweißschicht.
    »Weil es fast vorbei ist. Und Sie haben einen Fehler gemacht, nicht wahr?«
    Jetzt blickten Manns Augen besorgt. Er wandte den Blick ab und kaute auf seiner Unterlippe. Tony sah, dass er endlich dabei war, etwas zu erreichen.
    »Marie-Thérèse Calvet, das war ein Fehler. Damit haben Sie denen einen Vorwand geliefert, Sie wie jeden anderen sexuell gestörten Psychopathen zu behandeln. Sie werden nicht in der Lage sein, darüber hinwegzusehen und die Realität zu erkennen, weil sie beschränkt und dumm sind. Sie denken vielleicht, Sie könnten im Gerichtssaal die Gelegenheit haben, sich zu erklären, aber glauben Sie mir, Sie werden es wahrscheinlich nicht einmal bis zum Gericht schaffen. Nach dem, was Sie mit Dr. Calvet gemacht haben, braucht man keinen besonderen Grund, um Sie wie einen Hund niederzuschießen.«
    Mann fuhr sich mit der Hand über den Mund und verriet damit endlich, wie bestürzt er war. »Warum sprechen Sie so mit mir?« Seine Stimme klang bittend, und Tony musste ihm darauf antworten.
    »Weil es meine Aufgabe ist, Menschen zu helfen, die sich in eine ausweglose Situation bringen. Wenn die meisten Leute jemanden wie Sie sehen, halten sie ihn für böse. Oder für krank. Ich dagegen sehe einfach nur jemanden, der gekränkt worden ist. Ich kann die Verletzung nicht ungeschehen, aber es manchmal möglich machen, damit zu leben.«
    Doch das zu sagen war genau das Falsche. Mann stieß sich von der Wand ab und fing an, in dem winzigen Raum zwischen Kajütfenster und Kartentisch erregt hin und her zu gehen. Der Anschein von Verletzlichkeit war verschwunden, und an ihre Stelle war zornige Erregung getreten. Er verhaspelte sich beim Sprechen und ballte immer wieder wie im Krampf die Fäuste. »Sie sind ein Scheißpsychologe. Sie verdrehen alles. Sie kommen hierher, auf mein Schiff, in mein Zuhause und sprechen die Unwahrheit über mich. Sie haben kein Recht dazu. Ihr lügt alle. Ihr sagt, ihr wollt helfen. Und dabei helft ihr niemals. Ihr macht alles nur schlimmer.«
    Plötzlich hielt er inne und ging einen Schritt auf Tony zu, versperrte ihm den Weg
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