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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom
Autoren: Val McDermid
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besonderer Mensch sein, um einen solchen Plan bis zu Ende durchführen zu können, und er wusste jetzt, dass er mit dem Geschlechtsverkehr seine Mission nicht verdorben hatte. Diese Erkenntnis hatte ihm Frieden gebracht, und mit der Ruhe erhellte sich sein Gemüt und gab ihm jede Bestätigung, die er brauchte. Die Kopfschmerzen verschwanden, und er fühlte sich befreit.
    Wie ein Spiegelbild seiner persönlichen Erleichterung erschien ihm die Nachricht, dass der Fluss am nächsten Tag für die Schifffahrt freigegeben werde, also würde er seine Arbeit fortsetzen können. Er hatte die Zeitungen und das Internet durchgesehen, nach denen niemand bemerkt zu haben schien, dass er die Grenzen überschritten und in Holland einen Mord begangen hatte. Er musste glauben, dass seine Opfer dort noch nichts von dem Risiko ahnten. Er konnte es sich nicht leisten, etwas anderes zu glauben, sonst würde sich die Angst in seine Seele fressen und ein Handeln unmöglich machen.
    Nach der Nachricht, dass das Leben bald zur Normalität zurückkehren werde, hatte er seiner nächsten Zielperson eine E-Mail geschickt und mit ihr einen Termin festgelegt. Er musste vorsichtig sein für den Fall, dass die Polizei versuchte, ihm eine Falle zu stellen, indem sie de Groots Tod geheim hielt. Er würde sich vergewissern müssen, dass er nicht in einen Hinterhalt geriet. Aber er war zuversichtlich, dass er in drei Tagen an eine Tür in Utrecht klopfen würde. Professor Paul Muller würde den Preis für das zahlen müssen, was er ohne Befugnis anderen angetan hatte.
    Er lehnte sich an die Reling am Heck und betrachtete den Trauerwimpel, der in der sanften Brise flatterte. Es war der fünfte, den er seit dem Tod seines Großvaters gehisst hatte und der ihn ständig an das erinnerte, was er vollbracht hatte. Es war angenehm, sich vorzustellen, was er mit Muller machen würde. Schon der Gedanke daran ließ sein Blut schneller durch die Adern fließen. Heute Abend würde er an Land gehen und eine Frau suchen, mit der er es im Vorgefühl dessen treiben würde, was Utrecht versprach. Er hatte wirklich Fortschritte gemacht. Jetzt konnte er ihre Körper sowohl zur Generalprobe als auch zur Entspannung danach nutzen.
     
    Carol starrte auf die dicken, rostbraunen Knospen des Baumes draußen vor dem Fenster. Sie hatte keine Ahnung, was für ein Baum es war, und machte sich auch nichts daraus. Sie wusste nur, dass es irgendwie zutiefst beruhigend war, ihn anzustarren. Hin und wieder stellte ihr der Therapeut Fragen in dem Versuch, irgendeine Reaktion zu bekommen, aber sie fand es nicht schwer, die Banalitäten zu überhören.
    Sie wollte ihr altes Leben wiederhaben. Sie wollte dort sein, wo sie früher gewesen war, an dem Ort, wo Verrat nicht die gängige Münze war, die von denen genauso eiskalt ausgeteilt wurde, die das Recht auf ihrer Seite zu haben behaupteten, wie von denen, die wussten, dass sie die Gauner waren. Sie wollte irgendwo sein, wo sie der Überzeugung entfliehen konnte, dass die Leute auf ihrer Seite sie schlechter behandelt hatten als der Feind.
    Radecki hatte sie vergewaltigt. Aber das war etwas, was sie überleben konnte, weil es in gewisser Weise ein legitimer kriegerischer Akt gewesen war. Sie hatte alles in ihrer Macht getan, um ihn zu vernichten. Ihr Risiko war dabei gewesen, dass er zurückschlug.
    Was Morgan getan hatte, war unendlich viel schlimmer. Er war angeblich auf ihrer Seite. In ihren Augen hieß das, er hatte ihr gegenüber eine Sorgfaltspflicht. Oder zumindest die Pflicht, aufrichtig zu sein. Aber er hatte sie den Wölfen vorgeworfen, kaltblütig und berechnend. Er hatte ihr genauso sicher eine Falle gestellt, wie er es mit Radecki getan hatte.
    Sie wusste jetzt, dass Radecki nur die Wahrheit gesagt hatte, als er ihr vorwarf, sie sei Teil einer Verschwörung, in deren erstem Akt seine Geliebte ermordet worden war. Sie wusste es, weil sie an diesem ersten Morgen in Den Haag im Besprechungszimmer gesessen und sich geweigert hatte, auch nur ein Wort über das zu sagen, was geschehen war, bis Morgan ihre Fragen beantwortet hatte.
    Sie hatte nicht eine einzige Nacht mehr in Berlin verbracht. Morgan hatte sie zum Krankenhaus begleitet und stand daneben, während ein Arzt ihr in aller Eile die Nase wieder gerichtet hatte. Morgan hatte den Anstand, sie bei der Untersuchung auf innere Verletzungen allein zu lassen, nach der ihr bestätigt wurde, dass sie trotz Radeckis Brutalität keinen bleibenden Schaden davongetragen hatte. Dann
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