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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom
Autoren: Val McDermid
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Handgelenk, um auf das Zifferblatt seiner klobigen goldenen Uhr zu sehen. »Halb zwölf. Der Laster sollte jetzt jeden Augenblick hier sein.«
    Tadeusz neigte leicht den Kopf. »Ich denke, wir werden das Päckchen selbst mitnehmen.«
    Krasic runzelte die Stirn. »Tadzio, das ist keine gute Idee. Es ist doch alles geplant. Es ist nicht nötig, dass du so nah an die Ware rankommst.«
    »Meinst du nicht?« In Tadeusz’ Stimme lag eine trügerische Lässigkeit. Dabei wusste Krasic genau, dass er ihm nicht widersprechen sollte. Bei dem Verhalten, das sein Boss in letzter Zeit an den Tag gelegt hatte, wagten es nicht einmal seine engsten Mitarbeiter, ihm entgegenzutreten und damit einen Wutanfall zu riskieren.
    Krasic hob besänftigend eine Hand. »Wie du willst«, sagte er.
    Tadeusz entfernte sich vom Auto und fing an, in der Werft umherzustreifen, während seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Einerseits hatte Krasic Recht. Es war nicht nötig, dass er sich selbst direkt in irgendeine Phase seiner Geschäfte einschaltete. Aber gerade jetzt sollte nichts als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Seine Wesensart war durch seine Großmutter geprägt worden, die trotz des adeligen Blutes in ihren Adern, das sie immer erwähnte, genauso abergläubisch gewesen war wie nur irgendeiner der Bauern, die sie so verachtet hatte. Aber sie hatte ihre vernunftwidrigen Ansichten mit kunstvollen literarischen Zitaten verbrämt. Statt dem Jungen beizubringen, dass ein Unglück selten allein komme, hatte sie das Shakespearewort herangezogen: »Wenn die Leiden kommen, so kommen sie wie einzle Späher nicht, nein in Geschwadern.«
    Katerinas Tod hatte ihm schon Kummer genug gebracht. Tadeusz war stolz darauf, seine Gesichtszüge so zu beherrschen, dass sie ihn nie verrieten, weder bei geschäftlichen Anlässen noch in privaten Beziehungen. Aber diese Nachricht hatte sein Gesicht zu einer heulenden Maske der Verzweiflung verzerrt, während die Tränen ihm in die Augen schossen und ihn ein unterdrückter Schrei zerriss. Er hatte immer gewusst, dass er sie liebte, doch wie sehr – das hatte er nie begriffen.
    Aber noch schlimmer war, dass alles so lächerlich erschien. So typisch für Katerina. Sie war in ihrem offenen Mercedes-Kabrio unterwegs gewesen und hatte gerade die Autobahn an der Ausfahrt Ku’damm verlassen, war also wahrscheinlich zu schnell gefahren, als ein Motorrad vor ihr aus einer Seitenstraße herausschoss. Verzweifelt versuchte sie auszuweichen, um den leichtsinnigen Motorradfahrer nicht zu erfassen. Dabei schoss sie auf den Gehweg zu, verlor die Kontrolle über den mächtigen Sportwagen und raste in einen Zeitungskiosk hinein. Sie war in den Armen eines Sanitäters gestorben, ihre Kopfverletzungen unvorstellbar entsetzlich.
    Der Motorradfahrer war längst verschwunden und war sich des Blutbads, das er angerichtet hatte, wohl kaum bewusst. Bei einer Untersuchung des Fahrzeugs hatte man einen Defekt im Antiblockiersystem des Mercedes entdeckt. Das war jedenfalls die offizielle Version.
    Aber als die erste Trauer sich gelegt hatte und Tadeusz wieder handlungsfähig war, kamen ihm Zweifel. Krasic, seine ihm stets treu ergebene rechte Hand, hatte berichtet, dass es während Tadeusz’ vorübergehender Abwesenheit ein paar mehr oder weniger raffinierte Versuche gegeben hatte, in sein Territorium einzubrechen. Mit stoischer Ruhe war Krasic, unbeirrt von dem schmerzlichen Verlust, den sein Chef erlitten hatte, den Drohungen rücksichtslos entgegengetreten; erst nach den Anzeichen von neuem Lebenswillen bei Tadeusz hatte er diesem die ganze Geschichte unterbreitet.
    Von da an galt die Parole: Tadeusz ist hinter dem Motorradfahrer her. Die von ihm geschmierten Polizisten waren keine große Hilfe gewesen, und es gab kaum Zeugenaussagen. Alles war so schnell geschehen. Es hatte gerade angefangen zu nieseln, so dass die vorbeikommenden Fußgänger im Regen die Köpfe gesenkt hielten. In der unmittelbaren Umgebung gab es keine Überwachungskameras.
    Der Privatdetektiv, den Tadeusz beauftragt hatte, noch einmal mit den Zeugen zu sprechen, hatte ein bisschen mehr zusammenbekommen. Ein Jugendlicher, der selbst gern Biker gewesen wäre, hatte bemerkt, dass es eine BMW -Maschine gewesen war. Tadeusz wartete ungeduldig darauf, dass seine Kontaktleute bei der Polizei eine Liste möglicher Kandidaten lieferten. So oder so, ob der Tod nun ein Unfall oder das Resultat eines grausamen Plans war, würde jemand dafür bezahlen
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