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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom
Autoren: Val McDermid
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müssen.
    Tadeusz wusste, dass er sich in der Wartezeit beschäftigen musste. Normalerweise überließ er die Planung Krasic und dem Kreis kompetenter Organisatoren, mit denen sie sich im Lauf der Jahre umgeben hatten. Er kümmerte sich um die großen Pläne, Details waren nicht seine Sache. Aber er war gereizt. Da draußen im Dunkeln lauerten drohende Gefahren, und es war an der Zeit, alle Glieder der Kette darauf zu überprüfen, ob sie noch so intakt waren wie am Anfang, als das System aufgebaut wurde.
    Und es schadete nichts, die Handlanger daran zu erinnern, wer hier das Sagen hatte.
    Als er zum Ufer ging und flussaufwärts blickte, konnte er die Buglichter eines riesigen Rheinschiffs ausmachen, dessen stampfendes Motorengeräusch über das Wasser heranzog. Er sah zu, wie das Schiff in den schmalen, tiefen Kanal einbog, in dem es längsseits am Bootskai anlegen wollte. Tadeusz hörte, wie hinter ihm die großen Torflügel wieder aufgingen.
    Er drehte sich um und sah einen zerbeulten Transporter herankommen, seitlich einscheren und neben dem Mercedes halten. Sekunden später hörte er das elektronische Warnzeichen eines großen Containerlastzugs, der rückwärts in die Werft einfuhr. Drei Männer sprangen aus dem Transporter. Zwei davon liefen auf die Werft zu, während der dritte, in der Uniform eines rumänischen Zollbeamten, zum hinteren Ende des Lkws ging, wo er auf den Fahrer traf. Zusammen entfernten sie das Zollsiegel vom Container, nahmen die Schlösser ab und machten die Türen weit auf.
    In dem Container waren Kartons mit Kirschkonserven aufgestapelt. Tadeusz verzog bei diesem Anblick die Lippen. Wer, der bei rechtem Verstand war, würde auf die Idee kommen, rumänische Kirschen aus der Dose zu essen oder gar komplette Lkw-Ladungen davon zu importieren? Er sah zu, wie der Zollbeamte und der Fahrer anfingen, die Kartons auszuladen. Inzwischen glitt hinter ihm das Schiff längsseits an den Kai heran, wo die beiden Männer fachmännisch beim Vertäuen halfen.
    Bald bildete sich ein schmaler Gang zwischen den Kartons. Nach kurzer Pause drängten Menschen durch die Lücke und sprangen auf den Boden hinunter. Verwirrte chinesische Gesichter glänzten schweißüberströmt im matten Licht, das von den Fahrzeugen und dem Schiff auf sie fiel. Der Strom menschlicher Körper wurde langsamer und verebbte. Etwa vierzig chinesische Männer kauerten eng zusammengedrängt, Bündel und Rucksäcke an die Brust gedrückt. Ihre verängstigten Blicke zuckten hier- und dorthin über das fremde Werftgelände, wie von Pferden, die Blutgeruch in der Luft wittern. Sie zitterten in der plötzlichen Kälte, ihre dünne Kleidung bot keinen Schutz vor dem kalten Nebel, der über dem Fluss lag. Ihr unbehagliches Schweigen war beunruhigender, als es jedes noch so laute Geplapper hätte sein können.
    Eine leise Brise trug einen Schwall abgestandener Luft vom Lkw zu Tadeusz herüber. Voller Ekel rümpfte er die Nase bei dem Gestank von Schweiß, Urin und Kot, der von einem leicht stechenden chemischen Geruch überlagert war.
Da muss man ganz schön verzweifelt sein, um eine solche Reise machen zu wollen
. Es war eine Verzweiflung, die nicht unwesentlich zu seinem Wohlstand beigetragen hatte, und er hegte einen gewissen widerwilligen Respekt für alle diejenigen, die den Mut hatten, diesen Weg in die Freiheit, den er ihnen anbot, einzuschlagen.
    Flugs organisierten der Lkw-Fahrer, die beiden Männer vom Transporter und die Schiffsmannschaft ihre Ladung. Zwei der Chinesen sprachen genug Deutsch, dass sie dolmetschen konnten, und die illegalen Einwanderer wurden gleich in Dienst genommen. Zuerst luden sie die Kirschkonserven und die Chemie-Toiletten ab, dann spritzten sie die Ladefläche mit Schläuchen ab. Als alles sauber war, bildeten sie eine Menschenkette und luden Kartons mit Obstkonserven vom Schiff auf den Lastwagen. Schließlich kletterten die Chinesen an Bord des Schiffes und begaben sich anscheinend ohne Zögern in den jetzt leeren Container. Tadeusz’ Mannschaft errichtete zwischen den Flüchtlingen und den Containertüren eine Wand aus Kartons, dann brachte der Zollbeamte Siegel an, die genau denen glichen, die er vorher abgenommen hatte.
    Es lief wie geschmiert, bemerkte Tadeusz nicht ohne Stolz. Die Chinesen waren mit einem Touristenvisum nach Budapest gekommen. Einer von Krasics Leuten hatte sie abgeholt und in ein Lagerhaus gebracht, wo sie in den Container auf dem Lkw geladen wurden. Zwei Tage zuvor war das Schiff vor
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