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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm
Autoren: Veronika Beer
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Norden“, das galt den Finnen, deren Death Metal ich schauderhaft finde, „und bin am liebsten draußen.“ – Für den Jamaikaner fällt mir nichts Besseres ein, mein Pulver für Musiklügen ist bereits verschossen. Und was mache ich mit den Japanerinnen? „Ich fotografiere wie verrückt.“
    So. Sverker ist zufrieden. Ich bin ein wenig stolz auf mich. Als ich gerade im Begriff bin, mich zu setzen, sehe ich im Augenwinkel die Hand des Engländers in der Luft zappeln. Ich tippe auf Anmerkungen zu Adolf Hitler, Autos, Bier, Boris Becker. Weit daneben: „Wenn du wirklich Fußball magst, sing einen Schlachtruf für uns!“ Ist das sein Ernst? Die Japanerinnen rutschen in froher Erwartung einer Karaoke-Einlage auf ihren Hockern hin und her; der Jamaikaner trommelt mit den Fingern auf die Tischkante; die Finnen nicken im Takt. Ich überlege. Bei der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland bin ich an einer Bar vorbeispaziert, in der Deutsche und Schweden gemeinsam tranken, sich bierselig in den Armen lagen und lallten: „Ihr seid nur ein Möbellieferant.“ Hui, auf Schwedisch klingt das noch um einiges rhythmischer.
    Eine Minute später grölt ein Saal Sprachschüler mit mir. Wir sind geeint; wir alle gegen die Schweden. Sverker lässt mich nie wieder allein vor die Klasse.

    Schnee sucht in wattebauschgroßen Flocken behäbig seinen Weg gen Boden. Üblicherweise sind über den Winter die Seen zwischen den Inseln zugefroren, in diesem Jahr erstmals nicht. Wie viel größer die Stadt mit einem Mal gewirkt hätte. Nur ein Drittel Stockholms ist Land, die doppelteFläche beanspruchen Parks und Grünflächen sowie das Wasser für sich, was die meisten Nachteile einer Metropole im Keim erstickt.
    Da liegt es in der Natur der Sache, dass die EU-Kommission Stockholm gleich zur Premiere im Jahr 2010 den Titel der „Grünen Hauptstadt Europas“ verliehen hat. Sage und schreibe 95 Prozent der Bevölkerung leben im Schnitt dreihundert Meter von Grünflächen entfernt. Vor und nach ihren schillernden Festen löst die Stadt damit ein, was Flagge und Ikea versprechen: Sonnengelb ist sie, blau wie Himmel und See um die Zentrumsinseln – und die Mischung daraus, grasig grün. Wo andere Hauptstädter vor lauter Verkehr und Stau, Abfall und Abwasser, Feinstaub und Treibhausgasen nach Luft schnappen wie Karpfen an Land, suhlen sich die Stockholmer irgendwo am Ufer und stippen die Zehen ins Wasser – oder atmen wie jetzt den Sauerstoff der reinen Winterluft.
    Ich kann mich wirklich glücklich schätzen. Ich hoffe bloß, ich habe noch einmal Gelegenheit, über das Eis zur Insel vis- à-vis zu laufen, herum um Eishockey spielende Kinder, die von Müttern und Vätern angefeuert werden, während Verliebte ihre Initialen in den milchigen Boden ritzen. Dann werde ich mit Freunden unter diesem buschig bewölkten Schneehimmel ein fika -Picknick mit Thermoskannen und Wolldecke einlegen. Eine romantische Vorstellung.
    Viel romantischer, als ich mir den nahenden Alla hjärtans dag ausmale, den „Tag für alle Herzen“, wie schwedische Blumenläden und die Geleeherz-Industrie ihren Valentinstag getauft haben. Die Werbeplakate in den Schaufenstern haben mich in erster Linie gelehrt, wie Lehnwörter hierzulande gehandhabt werden. Die schwedische Sprache hat allerhand Begriffe aus England, Deutschland und Frankreich importiert und der eigenen Aussprache angepasst. Gnadenlos. So wird allen klar, wie der jeweilige Terminus ausgesprochen werden möchte.
    Einer Schwedin kann folglich kein derartiges malör passieren, wie es vor Jahren einer Frau unterlaufen ist, die bei Ikea in Ulm nach einer mit Fäkalien übersäten Lagune gefragt hat. Es dauerte ein wenig, bis der Verkäufer und ich begriffen, dass sie sich schlicht und einfach auf einer lehnenlosen Couch entspannen wollte. Die gemeinte Chaiselongue schreibt und nennt der Schwede schäslong , analog zu revansch, toalett, trottoar, nivå, gratäng, restaurang, adjö, kö, miljö, portfölj, fåtölj, foajé, gelé – und ist mit dieser idé fein raus.
    Ich hingegen stehe mit mulmigem Gefühl in den Startlöchern für ein über Großbritannien eingeschwedeltes dejt , bin parat, um zu flirta , bewahre aber natürlich mein pokerfejs . Lars und ich hatten uns in der Zwischenzeit häufiger getroffen. Seine letzte SMS klang so:
    Kaffee am Donnerstag? Ich grinse in einer Tour. Ein Kunde hat gefragt, ob ich mich über ihn lustig mache, es ist schrecklich. Also? Kommst du? Du musst, denn du bist schuld!
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