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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm
Autoren: Veronika Beer
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Caros Stehlampe fällt noch ein Spalt Helligkeit in den Flur.
    In den Eisenverzierungen des Spiegels steckt ein Brief. Ich erkenne Lars’ Schrift auf dem Kuvert. Meine Halsschlagader pumpt mir Blut ins Gesicht, als ich einen Zettel herausziehe, in den Lichtkegel halte und lese:
    Katastrophe – ich musste kurzfristig nach Hamburg und kann nicht einschätzen, wie lange ich bleibe. Tut mir so leid. Dein Handy war belegt ... Bist Du so lieb und kümmerst Dich ein wenig um die Nachbarskinder (Familie Sundin – wir hatten darüber gesprochen)?? Sei mir bitte nicht böse, ich melde mich bei Dir, sobald ich es schaffe …
    Tausend Dank und eine Umarmung, Lasse

mars
    Ich bin es leid. Auf einem dieser schwedischen Kissen halber Größe und ein paar Zentimetern Schaumstoff über dem Boden zu schlafen, schlägt mir auf den Rücken und die Stimmung. Deshalb versuchen Caro und ich, uns im mit 55 200 Quadratmetern weltgrößten Ikea zu orientieren, in Kungens kurva, einem Gewerbegebiet südlich der Stadt. Das heißt „Kurve des Königs“, weil König Gustav V. – Opa des jetzigen, vielfach geblitzten Throninhabers – sie offenbar als Rennstrecke testete und mit dem Wagen im Wassergraben landete. Klar, dass es die Dagens Nyheter auf der Titelseite brachten. Eine Tankstelle vor Ort nannte sich Kungens kurva , und heute heißt die ganze Gegend so.
    Lustig sind sie, die Schweden mit ihrer Namensgebung, denke ich, als ich mich auf den nicht enden wollenden Wegen kurz in den Sessel Poäng fallenlasse. Mit Schalk im Nacken benennen sie Landstriche, Möbelstücke und nicht minder sich selbst. Die meisten heißen ja Maria oder Karl, Emma oder Erik. Allerdings gibt es im Volk eine eigenartige Vorliebe für den Jungenvornamen Hampus, der noch vor Daniel und Benjamin in der Popularitätsliste rangiert. Zudem nennen tausende Elternpaare ihren Sohn schlicht Bror, also Bruder, wie bei der Verkleinerung Lillebror von Karlsson auf dem Dach . Zu meinem späteren Bekanntenkreis zählten Gulli, Stricke und Svantepolk. Und als Elin einmal fragte: „Treffen wir uns bei Douglas?“, glaubte ich, sie wolle mit mir in eine Parfümerie. Erst später begriff ich, dass sie von der Party bei einem Schulfreund sprach. Dort stellte sich mir dann ein Schwede mit dem liebenswürdigen Namen Love vor.
    Tollkühn zeigen sich aber auch die Deutschen, die für ihren männlichen Nachwuchs den Namen Tjorven aus Schweden importieren. Der bedeutet so viel wie dickes Würstchen, wurde von Astrid Lindgren erfunden und in Ferien auf Saltkrokan als Spaßname verwendet – für ein Mädchen. Die Schweden rufen höchstens das dralle Postauto so.
    Die Namenswahl kann also über Ländergrenzen hinweg eine prekäre Wirkung entfalten. Mein Problem nennt sich universell Lars, der nach wie vor untergetaucht ist und dessen Anruf ich erneut ignoriere, als wir in die WG zurückkommen. Statt aus einem Schwung gleich aussehender Teile einen Beistelltisch zu zimmern, sehe ich mit Oskar erst einmal Nachrichten auf TV4 , dem Sender, bei dem er als Ingenieur arbeitet und vorrangig die Wetterkarte gestaltet. Doch Caro hat in null Komma nichts ihr Zimmer eingerichtet und schon neue Pläne: „Umschalten! Heute ist melodifestivalen .“
    Der schwedische Vorentscheid zum Eurovision Song Contest gehört zum Pflichtprogramm. Wo in Deutschland notgedrungen zwei oder drei mittelmäßige bis unbekannte Gruppen an den Start gehen, verausgaben sich in Schweden die populärsten Bands, um unter die letzten 32 zu gelangen und damit bei SVT1 , der schwedischen ARD, auf Sendung zu gehen. Bereits über viele Wochen hinweg haben diese Auftritte dem Fernsehpublikum bizarre Samstagabende beschert, etwa als Frauen mit blauen Zylindern und Cheerleader-Puscheln am Hintern eine erschöpfte Mischung aus Roland Kaiser und Karel Gott befächerten und zum Abschluss des Liedes I Love Europe sämtliche europäischen Flaggen aus dem Allerwertesten zauberten. Heute stemmen sich Menschen mit kuriosem Styling gegen das Gebläse der Windmaschinen, dass die Tüllflügel nur so flattern. Dieses Genre nennen die Schweden im Übrigen schlager – eines der grandiosen Wörter, das sie sich neben autobahn, wurst und besserwisser aus dem Deutschen abgeguckt haben.
    Und so verfolgen wir in einer Runde aus Pizza, Oskar und Holzbeinen, wie im Stockholmer Globen , dem größten Kuppelbau der Welt, der dem Druckwasserreaktor eines Atomkraftwerks gleicht, eine Frau gewinnt. Selbst die sieht ziemlich konstruiert aus. Charlotte
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