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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm
Autoren: Veronika Beer
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uniforme 72-Meter-Riesen, die sich gegenseitig das Sonnenlicht und den Meerblick stehlen. In den farblosen Straßenzügen freut sich das Auge schon über die hellgraue Jugendstilfassade des Nobelkaufhauses NK , der Nordiska Kompaniet an der Hamngatan. Es ging durch die internationale Presse, als dort, in der Damenabteilung, Außenministerin Anna Lindh von einem Mann erstochen wurde, der später angab, die Stimme des Teufels habe ihm dies befohlen.
    „Ich will hier weg.“ Der Ort ist nun wirklich keine Anmut. „Entscheide du. Der Rest haut dich um, versprochen!“ Lars freut sich über meine Reaktion. Ich hoffe, Trick siebzehn dient nur der Show und ist keine Notwendigkeit, um den Reiz dieser Stadt zu begreifen.
    Wir beginnen dort, wo Stockholm begonnen hat: auf der Insel Stadsholmen mit der Altstadt Gamla stan, Europas größtem und besterhaltenem mittelalterlichen Stadtkern. Das sieht doch schon viel besser aus. Wir laufen über unregelmäßiges Kopfsteinpflaster durch die autofreie Zone der verwinkelten Gässchen. Die Häuserfassaden tragen Schmuck aus Stuck, sind vanille-, karamell- und himbeerfarben gestrichen. Und dazu passend hat die erste Eisdiele bereits geöffnet.
    Kurz hinter dem Eingang hat sich wie üblich eine Schlange gebildet. Die Schweden scheinen die Minusgrade beim Schlecken nicht zu stören. Außer Rekordhalter im Kaffeetrinken dürfen sie sich auch Weltmeister im Eisessen nennen. Um die fünfzehn Kilo verdrückt der Schwede pro Jahr, dafür muss er sich früh ins Zeug legen.
    In der Eisdiele ziehen wir einen Zettel mit Zahl aus einer Plastikschnecke auf Augenhöhe. Solche nummerlappar berechtigen zum Einreihen in die Schlange, zum gesitteten Warten und zum Sprechen, sobald Ladenbesitzer Enrico mit dem Eisportionierer auf einen Knopf neben der Kasse drückt. Auf der schwarzen Tafel über ihm leuchtet dann die Zettelnummer rot. Die gleiche Prozedur kenne ich bereits vom Bäcker, aus Elektroläden, von der Post und aus der Schuhabteilung. Offenbar ist ganz Schweden mit seinem Nummernziehen und Schlangestehen eine ulkige Hommage ans deutsche Arbeitsamt.
    Pling.
    D 34
    Lars tritt an den Glastresen. Sind wir dran? Mein Zögern und den irritierten Blick missversteht Enrico als Angewidertsein und persönlichen Angriff auf sein Eis. „Madame will nichts bestellen“, bestimmt er, „aber der nette Herr vielleicht?“ Lars ordert zweimal Blaubeereis.
    Während ich mir beim Verlassen der Eisdiele gleich wieder doof vorkomme, weil ich die Einzige bin, die die Waffel mit Handschuhen hält, erklärt mir Lars die Altstadt aus Schwedensicht. Hier unten auf der Västerlånggatan könne man sich im Grunde nicht aufhalten, weil nur Touristen unterwegs seien, vorzugsweise Russen, Amerikaner und Deutsche. Ginge also gar nicht. Eben ist tatsächlich ein Schild mit der Aufschrift „SPD Servicegruppe Flensburg 5“ an mir vorbeigewandert. Ihm folgte ein Rudel Mützenträger, das seine Führerin fragte, ob man – nach der anstrengendenWachablösung am königlichen Stadtschloss – beim „Franziskaner“ am Ende der Straße langsam mal ein Bier trinken könne. Gut, dass Lars das nicht gehört hat. Wie das Establishment gehen auch Touristen an seine Substanz. Wahrscheinlich will er mich deshalb ratzfatz zu einer Hiesigen machen.
    „Dieser Touripfad ist nichts wert“, fasst er zusammen. Deshalb müsse die in Wahrheit so teure Meile als billigste Straße im schwedischen Monopoly herhalten. Allerdings seien die Gebäude hier architektonisch sehr interessant. Da! Prachtvolle Portale mit hohen Giebeln. Hinter denen: viel mittelalterliches Bauwerk. Dass in dem meist Souvenirläden steckten, müsse ich jetzt einfach ausblenden.
    Bei Robert Lembkes heiterem Beruferaten wären für Lars wenig Münzen ins Schweinderl gefallen. Als Architekt hatte er sich schon auf Sannes Party eine Flasche Schnaps erwettet, weil er die Statik einer Bretterkonstruktion in Frage gestellt hatte, die für den Alkoholnachschub improvisiert worden war. Als später im Wohnzimmer einige Gäste ganz nah zusammengerutscht waren, hatten es ihnen Aquavit und Schlammbowle gleichgetan und den Küchenfußboden geflutet.
    Gemeinsam stiefeln Lars und ich nun in tolle Kellergewölbe hinab, sagen hej! zu Besitzern von Restaurants und Modeboutiquen und ziehen weiter zu verzierten Deckenbalken aus dem 17. Jahrhundert, Kalkmalereien von 15-irgendwann und imposanten Inneneinrichtungen aus dem Rokoko. Wir schlendern über die Köpmansgatan, die älteste Straße der
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