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Ein Haus für vier Schwestern

Ein Haus für vier Schwestern

Titel: Ein Haus für vier Schwestern
Autoren: Georgia Bockoven
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in ihren Augenwinkeln kamen ihr jedes Mal tiefer vor, wenn sie in den Spiegel blickte. Das Alter machte sich bemerkbar. Nicht auf die beiläufige Art und Weise wie bei den Frauen, die Kinderwagen schoben und ihre Brut zwischen Schule, Musikunterricht und Sportverein hin- und herkarrten. Nein, eher beschleunigt durch ihre Anstrengungen, die Anzeichen zu bekämpfen.
    In vier Jahren wurde sie vierzig. Allein der Gedanke daran machte sie krank. Wahrscheinlich ging sie dann immer noch für Mitte dreißig durch – so wie jetzt für Anfang dreißig. Aber sechsunddreißig schien gleichaltrigen Männern zu alt zu sein. Wenn die dann vierzig wurden und eine Familie wollten, beschlossen sie meist, sich an die süßen jungen Dinger zu halten, die durch Geld und Erfahrung leicht zu beeindrucken waren. Und die keine künstliche Befruchtung brauchten, um schwanger zu werden.
    Gingers Magen knurrte und erinnerte sie daran, dass sie das Mittagessen ausgelassen hatte. Sie war hungrig. Gefährlich hungrig. Weil ihre Seele nach Nahrung verlangte. Wenn sie nicht aufpasste, könnte sie etwas ziemlich Dummes anstellen. Beispielsweise die Hundertfünfzig-Kilo-Frau füttern, die in ihrem Fünfundfünfzig-Kilo-Körper lebte. Die Frau, die sie jede Stunde des Tages bekämpfen musste.
    Ginger ignorierte schließlich sowohl den Hunger des Körpers als auch den der Seele, zog sich die Sportsachen an und rannte nach unten. Gerade hatte sie sich den Hausschlüssel eingesteckt und dehnte ihre Beinmuskulatur, als es an der Tür klingelte. Sie weigerte sich, an Marc zu glauben.
    Er war es auch nicht.
    »Tut mir leid, Sie zur Essenszeit zu stören«, sagte der Hausverwalter und strich sich mit der Hand über seine Glatze. »Meine Frau hat vergessen, mir das sofort zu geben. Das ist heute für Sie gekommen. Ich habe gedacht, es ist vielleicht wichtig.« Er übergab ihr eine Expresslieferung.
    Ginger sah auf den Absender. Eine Anwaltskanzlei in Sacramento – sie kannte niemanden dort.
    »Ich hoffe, es sind keine schlechten Nachrichten«, sagte der Verwalter.
    »Was? Nein, sicher nicht. Meine Firma hat Kontakte nach Sacramento. Jemand muss versehentlich meine Privatadresse benutzt haben.«
    Der Überbringer machte keine Anstalten zu gehen. »Ich wäre ja eher damit gekommen, aber meine Frau hat heute Geburtstag. Deswegen haben wir beide es, um ehrlich zu sein, völlig vergessen.«
    Ginger lächelte. »Kein Problem. Bitte gratulieren Sie ihr von mir.«
    »Mache ich.«
    Sie ging in die Wohnung und warf den Umschlag auf das Sofa. Wenn sie nicht bald auf die Laufstrecke kam, würde sie sie mit den Kerlen vom örtlichen Wrestlingclub teilen und knietief im Testosteron waten müssen. Fast war sie schon wieder an der Tür, als ihre Neugier doch noch siegte. Schließlich bekam sie nicht jeden Tag eine Expresssendung von einer Kanzlei. Um genau zu sein, hatte sie noch nie Post von einem Anwalt bekommen.
    Sie setzte sich aufs Sofa, legte die Füße auf den Couchtisch und machte sich einen virtuellen Knoten ins Taschentuch: Sie brauchte dringend neue Laufschuhe.
    »Sehr schön.« Sie zog zwei Briefe aus dem Umschlag, einen von dem Anwalt, den anderen von einem Reisebüro. Den vom Anwalt öffnete sie zuerst.
    Sehr geehrte Mrs Reynolds,
    ich schreibe Ihnen im Auftrag Ihres leiblichen Vaters, Jessie Patrick Reed. Es tut mir leid, Sie darüber unterrichten zu müssen, dass Mr Reed bald sterben wird. Er äußerte den Wunsch, Sie zu treffen. Angesichts der Tatsache, dass die ihm verbleibende Zeit sehr knapp bemessen ist, werden Sie die Dringlichkeit der Angelegenheit sicher verstehen. Er bat mich, Ihnen zu sagen, dass er eventuelle Vorbehalte Ihrerseits durchaus verstehen könnte und dass er alles tun würde, um Sie zu einem Treffen zu bewegen.
    Ginger fühlte sich gleichzeitig erleichtert und enttäuscht. Der Brief war offensichtlich nicht für sie bestimmt. Ein ziemlich trauriges Zeichen dafür, wie wenig sich in ihrem Leben ereignete.
    Um Ihnen eine reibungslose Anreise nach Sacramento zu ermöglichen, liegt diesem Schreiben ein Rückflugticket bei. Außerdem steht Ihnen nach Ihrer Ankunft ein Wagen mit Fahrer zur Verfügung. Eine Bestätigung der Daten Ihrerseits ist nicht notwendig. Sollten Sie jedoch Fragen haben, rufen Sie mich bitte jederzeit an.
    Mit freundlichen Grüßen
    Lucy Hargreaves
    Ginger faltete das Schreiben zusammen und legte es auf ihre Aktenmappe. Sie würde morgen von der Arbeit aus dort anrufen und der Anwältin erklären, dass sie die falsche
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