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Ein Haus für vier Schwestern

Ein Haus für vier Schwestern

Titel: Ein Haus für vier Schwestern
Autoren: Georgia Bockoven
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noch zu kommen. Er überraschte sie gern, und sie gab ihm das Gefühl, gern überrascht zu werden. Sie hechtete übers Bett und griff nach dem Hörer. »Hi.« Ihre Stimme klang tief, sexy und fröhlich.
    Schweigen. Dann eine Frauenstimme. »Ich habe das Gefühl, du hast mit jemand anderem gerechnet.«
    »Mom – hallo.« Sie konnte ihre Enttäuschung nicht ganz verbergen. »Alles in Ordnung bei dir?«
    »Natürlich ist alles in Ordnung.« Ihre Mutter Delores hatte damals alles getan, um zu verhindern, dass Ginger ihr Haus verkaufte, ihre Arbeitsstelle und ihren Freundeskreis aufgab, um Marc nach Kalifornien zu folgen. Fast hätten sie sich damals zerstritten. Um alte Wunden nicht wieder aufzureißen, blieb seitdem das Thema Marc außen vor.
    Auf der Suche nach einem sicheren Gesprächsthema schlug Ginger einen leichten Ton an. »Wie geht es euch?«
    »Dein Vater hätte gern gewusst, ob dein Auto repariert ist.«
    Ginger und ihren Vater trennten nicht eine, sondern zwei Generationen. Als sie auf die Welt gekommen war, hatte er die Vierzig überschritten gehabt. Er kommunizierte mit ihr so, wie sein Vater mit ihm kommuniziert hatte – über die Frauen in der Familie. Hatte er Fragen oder wollte er Ginger etwas sagen, lief das über ihre Mutter.
    »Noch nicht«, musste Ginger eingestehen.
    Die Hand über der Sprechmuschel dämpfte, was ihre Mutter weitergab. »Sie sagt, noch nicht, Jerome.«
    Ginger wartete ab.
    »Dein Vater sagt, es sei wichtig, das so schnell wie möglich machen zu lassen. Erst heute Abend haben sie in den Nachrichten gebracht, dass ein Unfallauto Feuer gefangen hat. Die ganze Familie ist umgekommen. Sechs Menschen. Es war schrecklich.«
    »Ich rufe morgen früh sofort die Werkstatt an.«
    »Das hast du das letzte Mal auch schon gesagt.«
    Sie wälzte sich auf den Rücken und bedeckte ihre Augen mit der Hand. »Ich schreibe mir gleich einen Zettel.«
    Sie wusste, dass ihre Eltern nervten, weil sie ihr nur so zeigen konnten, wie sehr sie sie liebten. Ihr Elternhaus war nicht gerade berühmt für seinen emotionalen Überschwang. Berührungen waren so selten gewesen wie Regen in der Wüste.
    »Habe ich dir schon gesagt, dass Bill zu Dads Geburtstag kommt?«
    Ungefähr hundert Mal. »Ja, Mom, ich weiß Bescheid. Ich habe dir doch gesagt, dass ich auch komme, wenn ich ein paar Tage freinehmen kann.«
    »Eine Woche wäre nett.«
    »Das wird nicht gehen. Ich bekomme keinen Urlaub, solange ich nicht ein volles Jahr dort gearbeitet habe. Ich versuche aber, den Freitag und den Montag für ein langes Wochenende freizuschaufeln.«
    »Wenn das so ist, dann ist das eben so.«
    »Mom, ich muss los. Ich habe eine Verabredung.«
    »Eine Verabredung?«
    »Mit einer Freundin.«
    Es herrschte gespannte Stille. Dann versuchte es Delores mit einem Scherz. »Hat diese Freundin vielleicht einen Bruder?«
    »Hat sie tatsächlich.« Gingers Geduldsfaden drohte zu reißen. »Der ist aber schwul.«
    Wie aus der Pistole geschossen, kam Delores’ Antwort. »Ich dachte, es gibt inzwischen Einrichtungen, in denen solche Menschen geheilt werden können?«
    Ginger war zuerst sprachlos, musste dann aber lachen. »Macht es gut, Mom. Ich melde mich in ein paar Tagen wieder, wenn ich mehr Zeit habe.«
    »Denk an die Reparatur.«
    »Mache ich. Tschüs.«
    Lang saß sie auf der Bettkante und starrte blicklos auf den Parkplatz hinter ihrem Apartment. Sie wollte nicht einfach nur mit Marc zusammen sein, sie brauchte ihn. Nicht nur für den Sex. Ihre Freunde waren in Kansas City zurückgeblieben. Sie hatten alle versucht, ihr den Umzug nach Kalifornien auszureden. Und hier hatte sie noch keine neuen Freundschaften geschlossen. Dazu war sie viel zu schüchtern.
    Sie fühlte sich allein gelassen und brauchte dringend einen Menschen, dem sie sich anvertrauen und mit dem sie reden konnte. An ihrem Arbeitsplatz und im Fitnessstudio hatte sie zwar Frauen getroffen, die sie mochte. Aber die hatten alle ein ausgefülltes Leben mit Familie, Freunden und Beruf. Mehr als Kaffeetrinken und ein gemeinsames Mittagessen war da nicht drin. Freundschaft, wie Ginger sie verstand, brauchte Zeit und musste gepflegt werden. Darüber sprach sie nie, auch nicht mit Marc. Wer einsam war, brauchte Trost. Dieses Eingeständnis fand sie armselig.
    Außerdem hörte sie die biologische Uhr immer lauter ticken. Egal, wie oft sie trainierte: Ihr Busen sackte langsam nach unten. Egal, wie andächtig sie ihre Haut mit teuren Cremes und Lotionen massierte: Die feinen Linien
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