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Ein Haus für vier Schwestern

Ein Haus für vier Schwestern

Titel: Ein Haus für vier Schwestern
Autoren: Georgia Bockoven
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sondern wie ein Befehl. »Wirf den Brief weg und vergiss das Ganze.«
    »Ich muss das Flugticket zurückgeben oder ihnen zumindest sagen, dass ich es nicht nutzen werde. Der Mann will seine Tochter schnellstmöglich treffen. Deswegen liegt dem Schreiben ein Rückflugticket von San José nach Sacramento bei. Mit dem Auto wäre ich wahrscheinlich schneller dort.«
    »Dann schick es zurück. Ruf aber auf keinen Fall dort an.«
    »Warum? Was sollte das für einen Unterschied ausmachen?«
    »Es geht um deine Sicherheit. Ich habe von Leuten gelesen, die auf diese Art Betrügern aufgesessen sind.«
    »Mom, der Brief ist nicht für mich. Du macht viel zu viel Wind deswegen. Hätte ich geahnt, dass du dich so aufregst, hätte ich dich nicht angerufen.«
    »Ich weiß, wie schnell etwas passiert. Ich lese mehr darüber als du.«
    »Ich werde diese Anwältin anrufen und ihr sagen, dass ich die Falsche bin. Das ist alles.«
    »Zum Donner noch eins, Ginger, würdest du bitte sofort aufhören, mir zu widersprechen? Mach bitte ein einziges Mal, was ich dir sage.«
    Ginger blinzelte. Weder erhob ihre Mutter normalerweise die Stimme, noch fluchte sie. Da war etwas im Busch. Und es hatte nichts mit Betrügern und Stalkern zu tun. »Also gut. Wenn dir das so wichtig ist, werde ich einfach die Tickets zurückschicken.«
    »Danke.« Delores Erleichterung war fast mit Händen zu greifen.
    »Ich lege jetzt auf und gehe duschen.« Damit Delores dieser blitzartige Abschied nicht merkwürdig vorkam, fügte Ginger hinzu: »Ich war gerade laufen und muffle ziemlich.«
    »Ich hab dich lieb, mein Kind.«
    »Ja, Mom, mach’s gut. Küsschen«, entgegnete sie automatisch.
    »Ginger, ich meine, was ich sage. Ich liebe dich wirklich über alles. Ich weiß nicht, was ich machen würde, sollte dir etwas zustoßen.«
    »Mach dir bitte keine Sorgen meinetwegen. Und hör auf, komische Zeitschriftenartikel zu lesen.«
    »Geh duschen.«
    Ginger legte auf, schnappte sich eine Pflaume von der Theke und ging nach oben. Die Pflaume schmeckte sauer. Sie aß sie trotzdem als Abendessen. So sparte sie ein paar Kalorien für das Wochenende. Sie wollte Marc überreden, sie in ein Wellnesshotel in Sonoma einzuladen, von dem sie in der Wochenendausgabe der Zeitung gelesen hatte.
    Sie stand unter der Dusche und plante ihre Taktik gegenüber Marc, als die Stimme ihrer Mutter ihre Gedankengänge unterbrach. Zum Donner noch eins, Ginger, mach bitte ein einziges Mal, was ich dir sage.
    Warum dieses einzige Mal? Was war an diesem Brief so wichtig?
    Die Antwort kam bruchstückhaft aus ihrem Unterbewusstsein. Zu schmerzlich, um glaubhaft zu sein, zu offensichtlich, um verdrängt zu werden. Eine Ahnung wurde zum Verdacht. Sie konnte ihn nicht in Worte fassen und schon gar nicht laut aussprechen.
    Das konnte nicht stimmen. Auf keinen Fall. Ihr ganzes Leben lang war ihr erzählt worden, dass sie ihre dunkelblauen Augen von Tante Louisa geerbt hätte. Dass sie das Temperament ihres Vaters besitzen würde. Das sie Kalzium nehmen sollte, weil die Frauen der Reynolds zu Osteoporose neigten. Über die Linie ihrer Urgroßmutter stammte sie von John Quincy Adams ab, dem sechsten Präsidenten der Vereinigten Staaten. Ihre Mutter würde sie doch nicht belügen.
    Sie spülte sich das Shampoo aus den Haaren und redete sich ein, das flaue Gefühl in ihrem Magen käme von der Pflaume. Sobald sie aus der Dusche kam, würde sie noch einmal ihre Mutter anrufen. Sie würden gemeinsam darüber lachen, dass Ginger für einen winzigen Augenblick geglaubt hatte, sie wäre nicht das Kind von Delores und Jerome und Billy wäre nicht ihr Bruder. Und sie nicht von John Quincy Adams abstammte.
    In Denver war es schon spät, deshalb verkürzte sie ihre übliche Pflegeprozedur nach dem Duschen und rief gleich nach dem Abtrocknen bei ihrer Mutter an. »Hallo, ich bin’s noch mal.« Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Eine Pause entstand. »Ich habe über dieses Schreiben nachgedacht.«
    »Das dachte ich mir«, sagte Delores.
    Sie klammerte sich an den letzten Strohhalm und gab ihrer Mutter die Chance, den Irrtum aufzuklären. »Warum hat dich das so aufgeregt?«
    »Ich bin müde. Es war ein langer Tag.«
    »Da steckt noch etwas anderes dahinter. Bitte sag mir, was. Ist es denn wahr?« Sie erstickte fast an den nächsten Worten. »Ist dieser Mann mein Vater?«
    »Dein Vater ist oben im Schlafzimmer.«
    Für einen winzigen Augenblick kam ihre Welt wieder ins Gleichgewicht. Aber die nächste Frage war
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