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Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Titel: Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Autoren: Petra Oelker
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Aufschrei. Nicht alle, die sich inzwischen versammelt hatten, verstanden, was da vor sich ging. Ekhoff hatte es oft erlebt. Er schloss immer rechtzeitig die Augen, der blendende Blitz wirkte nur für einen Moment nach, aber er mochte das nicht.
    Der Staatsanwalt war immer noch nicht da, Sicherung und Untersuchung des Fundortes und der Leiche durften davon nicht aufgehalten werden – nicht nur wegen der wartenden Marktleute und ihrer Kundschaft. Der Meßberg genannte Platz lag wohl am Rand der City, wie die Innenstadt neuerdings genannt wurde, aber an einer der großen Brücken, die direkt auf die Wandrahminsel und in die neue sogenannte Speicherstadt führte. Auch sonst war er von jeher einer der wichtigen und verkehrsreichen Plätze der Stadt. Wie anderswo die Droschken auf Fahrgäste, warteten hier stets Fuhrleute mit ihren Wagen auf Transportaufträge. Die Fuhrwerke stauten sich schon hinter den Absperrungen der auf den Platz führenden Straßen, an denen Polizisten die Durchfahrt verwehrten, bis die Leiche abtransportiert und der Tatort gründlich abgesucht worden war.
    Ekhoffs Polizeiassistent, ein blasser junger Mann mit umschatteten Augen in einem auffallend schmalen Gesicht, kam von der Anlegertreppe.
    «Und?», fragte Ekhoff.
    «Nichts», sagte Henningsen, «jedenfalls nichts, was der Rede wert ist.» Er ließ den Kommissar in eine offene Schachtel blicken.
    «Das ist alles?», fragte der und schob die Reste eines schmutzigen nassen Taschentuches mit der Fingerspitze an den Rand der Schachtel.
    Henningsen nickte. «Kein Monogramm oder sonst etwas Besonderes, gar nichts. Einfach ein billiger Fetzen. Er klebte in einer Ecke der dritten Stufe, deshalb ist er dem Kehrichtbesen entgangen.»
    Zwei Schutzpolizisten – jeder in beiden Händen je eine Laterne – standen hinter Henningsen und in respektvollem Abstand von drei Schritten ein halbes Dutzend zivile Helfer, halbe Kinder, sicher Söhne und Nachbarn der Polizisten.
    «Der Platz ist zu groß», erklärte der Assistent müde. «Wir konnten nicht jeden Quadratzoll absuchen, die meisten Schutzleute wurden für die Absperrung gebraucht, und bei diesem Licht versprach das ohnedies wenig Erfolg. Außerdem haben die Straßenkehrer und der Kehrichtwagen hier gründlich gearbeitet und aufgeladen, bevor sie beim Brunnen angelangt waren und den Toten entdeckten. Aber die Einmündungen der Straßen, der Brücke und die von dort jeweils direkte Linie zum Fundort haben wir mit den Laternen geradezu abgegrast. Zweimal, weil vier Augen mehr sehen. Und die Treppe zum Anleger, die zuerst, bevor die Bauern mit ihren Booten kamen. Kann ja sein, dass einer mit dem Boot gekommen oder wieder verschwunden ist. Die tote Katze, die dort lag, war schon halb von den Ratten aufgefressen, die Jungs haben sie in den Kanal geworfen. Aber so ein Kadaver hätte uns kaum weitergebracht. Im Resümee hat die Sucherei nichts ergeben.»
    Ekhoff hatte das erwartet, aber wie immer auf eine Überraschung gehofft. Er fragte auch nicht nach dem Messer. Solche Fragen hatte er selbst oft gestellt bekommen und es gehasst. Als ob einer auf der Suche nach Indizien und Tatwerkzeugen ein Messer, womöglich ein blutiges, unerwähnt lassen würde.
    Wieder ging ein Raunen durch die hinter der Absperrung drängende Menge, mit dem Hellerwerden hatte sie sich vervielfacht. Der Fotograf hatte seine Arbeit getan, Detailfotos würde er später in der Anatomie in der Brennerstraße machen, besonders Aufnahmen des Gesichts und der tödlichen Verletzung. Nun schob sich der Leichenwagen durch die Menge, die meisten wichen respektvoll oder in abergläubischer Furcht zurück. Immer, wenn Ekhoff das schlichte Fuhrwerk mit den beiden Aluminiumsärgen sah, fühlte er sich an das Grauen der Cholera vor drei Jahren erinnert. Damals hatte es allerdings bald keine Särge mehr gegeben, schon gar keine aus Aluminium. Tücher, ungelöschter Kalk und ein Loch in der Erde, ein Massengrab. So hatte für die allermeisten das Ende ausgesehen.
    «Kommissar Ekhoff?» Henningsen sah ihn fragend an. «Alles in Ordnung?»
    «Natürlich!» Ekhoff klang schärfer, als er beabsichtigt hatte. «Ich habe nachgedacht, das sollten Sie auch ab und zu tun.»
    Henningsen neigte errötend den Kopf und trat einen halben Schritt zurück. Ekhoff verwünschte sich. Eigentlich mochte er seinen Assistenten, aber manchmal machte der ihn nervös. Henningsen war ‹aus gutem Hause›, ungewöhnlich für einen Polizisten. Solche jungen Männer studierten
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