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Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Titel: Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Autoren: Petra Oelker
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Kommissar war erschreckt einen halben Schritt zurückgetreten, das Gesicht des sonst stets gelassenen Arztes hatte sich für einen Moment auf dramatische Weise verändert.
    «So. Und bevor Sie fragen, verehrter Kommissar: Ja, er hätte noch um Hilfe schreien können, das ist aber Theorie. Mit durchschnittener Kehle kriegen Sie keinen Pieps mehr raus, mit dieser Verletzung schon. Aber bevor er begriffen hatte, was passiert war, schließlich wird einem nicht alle Tage die Halsschlagader aufgeschlitzt, war es schon aus mit dem Bewusstsein und gleich darauf mit dem ganzen schönen Leben. Es kann aber auch anders gewesen sein. Na, Sie werden an die Türen klopfen und fragen, ob einer was gesehen und gehört hat. Es gibt eine Menge Schlafgestörte. Nun die andere Möglichkeit. Wie sehen zurzeit die Programme der Zirkusse in der Stadt aus? Gucken Sie nicht so indigniert, ich mache mir keine Gedanken über mein nächstes Sonntagsvergnügen. Ich folge nur meinen Vorurteilen.»
    «Obwohl Sie sich kurzfassen wollten.» Ekhoff bemerkte bei der von den Anlegern heraufführenden Treppe dichtes Gedränge. Es dämmerte, bald ging die Sonne auf, die Bauern und ihre Frauen und Mägde hatten die Boote festgemacht und wollten mit ihren schweren Körben hinauf auf den Platz. Aber immer noch lärmte, drängelte oder pöbelte niemand, alle reckten nur ihre Hälse, mit niederdeutschem Gemurmel wurden die, die von den unteren Stufen aus nichts sehen konnten, über das Geschehen auf dem Meßberg informiert.
    «Das war die Kurzfassung. Suchen Sie im Zirkus oder im Varieté. Das ist doch klar», rief der Arzt ungeduldig, als Ekhoff ihn nur fragend ansah, senkte dann aber wieder die Stimme – ein Polizeiarzt weiß, was nicht ins auf Neuigkeiten begierige Publikum hinausposaunt werden sollte. «Suchen Sie einen Messerwerfer. Für diese Verletzung ist das die wahrscheinlichere Variante. Der Kerl hat Glück gehabt, das Opfer Pech. Seine Kunst erfordert Talent, ein präzises Auge und ausdauernde Übung. So gut gezielt und getroffen wie hier – alle Achtung. Vielleicht finden Ihre Leute das Messer, ich glaube es zwar nicht, aber man muss immer auf das Glück und den Zufall vertrauen.»
    Paul Ekhoff sah dem Arzt, der erst im Davoneilen die große blaue Schürze abnahm, fröstelnd nach. Er fröstelte immer, wenn er zu wenig Schlaf und kein Frühstück bekommen hatte, er sehnte sich nach heißem Kaffee, keinem Muckefuck, sondern richtigem aus frisch gerösteten Bohnen. Leider war heute kein Sonntag. Tatsächlich fröstelte er aber, weil er noch nicht daran gewöhnt war, für das, was nun hier geschah oder nicht geschah, allein verantwortlich zu sein. Der alte Jowinsky, ein so erfahrener wie unerschütterlicher Kriminalist und bis vor wenigen Monaten sein Vorgesetzter, war in den Ruhestand gegangen und lebte bei seiner Tochter im Elsass. Er hatte sich entschieden dafür eingesetzt, dass sein Polizeiassistent den Posten bekam. Nun war Paul Ekhoff der jüngste (und am schnellsten aufgestiegene) Kriminalpolizeikommissar Hamburgs und hatte gelernt, dass das gut klang, aber einem Lauf über rissiges Eis glich. Er musste es trotzdem schaffen, eine andere Möglichkeit gab es für ihn nicht.
    «Lass dich nicht schrecken, Ekhoff», hatte Jowinsky zum Abschied gesagt, «es gibt immer Neider, die werden dir ans Bein pinkeln, wo sie nur können. Du wirst Fehler machen, aber du bist gut, nur deshalb bist du befördert worden. Du hast viel gelernt, und du hast es im Bauch. Andere sagen, in der Nase, das ist wurscht, jedenfalls hast du es, und das braucht man in unserem Geschäft unbedingt. Lass dir nicht ausreden, was du hast und kannst. Man scheitert nur, wenn man nicht an sich selbst glaubt.» Ekhoff fand solche Gedanken erstaunlich.
    «Immer nachts», brummelte der Fotograf, der sich schnaufend mit seiner Assistentin durch die Schaulustigen geschoben und endlich den Brunnen erreicht hatte. Er stellte die Deichsel des Handkarrens auf, mit dem er seine Utensilien transportierte, und schob einen Holzkeil vor eines der Räder. Er befestigte die Balgenkamera so an dem dreibeinigen Stativ, dass das Objektiv nach unten zeigte, zog die Stangen auf etwa zwei Meter Länge auseinander und platzierte sie über dem Toten, was ihn einige Mühe kostete, weil der Leichnam direkt am Brunnen lag. Endlich stieg er auf die Trittleiter, und Ekhoff ging einige Schritte beiseite. Der Magnesiumblitz leuchtete grell auf, ein Raunen ging durch die Menge, hier und da ein erschreckter
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