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Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Titel: Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Autoren: Petra Oelker
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stemmte er sich hoch und blinzelte in das Lampenlicht. «Kommt sicher aus Blankenese. Das kann dauern. Und wir vom Fußvolk müssen wieder warten.»
    Wie etwa die Hälfte der Polizeiärzte betrieb Dr. Winkler nebenbei eine kleine Privatpraxis, seine lag am Hafenrand, wo überwiegend arme Leute wohnten. Das hatte ihn trotz seiner Herkunft aus gutbürgerlichen Kreisen zu einer gewissen Radikalität im Denken verleitet. Auch im Handeln, wie etliche seiner Berufskollegen kritisierten. Wenn sich einmal ein halbwegs wohlhabender Patient in seine Praxis verirrte – für gewöhnlich ein ahnungsloser Reisender –, musste der im selben Wartezimmer ausharren wie die Leute vom Hafenrand und den Gängen um St. Jacobi, aber den dreifachen Preis für die Behandlung bezahlen. Es hieß, man treffe dort auf Verrückte, die sich dem extra aussetzten, als eine Art Abenteuer im Dschungel der Großstadt. Es hieß auch, seit die Cholera in der Stadt gewütet hatte wie sonst nur im Mittelalter, sei diese Art von Abenteuerlust kaum noch zu beobachten.
    Obwohl er sich vorgenommen hatte, nicht mehr so schnell zustimmend zu nicken, nickte Paul Ekhoff wieder. In diesem Fall bedeutete es allerdings keinen vorauseilenden Gehorsam, ihn störte es überhaupt nicht, wenn der Staatsanwalt lange auf sich warten ließ. In Gegenwart studierter, sich schon durch ihr Amt überlegen gebender Männer fühlte er sich wieder wie der Junge, der er einmal gewesen war, der alles, was er besaß, aus dritter Hand bekommen hatte.
    «Wie lange liegt er hier?», fragte er.
    «Etwa zwei Stunden, denke ich, höchstens drei. Und: Nein, ich habe ihn noch nicht bewegt, ich bin ja kein Anfänger. Was der Mann auf dem Kehrichtwagen gemacht hat, als er ihn entdeckte, weiß ich allerdings nicht. Ich habe nur vorsichtig den Hinterkopf abgetastet, ob da eine Überraschung auf uns wartet. Bei diesem Kandidaten hier hat es mich auch nicht zu mehr gedrängt. Die Schnittwunde an seinem Hals hat gereicht, ihm den Lebensfaden abzuschneiden. Das kann man hier mal wörtlich nehmen. Aber es soll vorkommen, dass ein Mörder besonders gründlich ist und sozusagen einen Doppelmord an einer Person begeht. Den Schädel hat er diesem hier nicht auch noch eingeschlagen, aber ob er ihm vorher eine Prise Gift ins Nachtmahl gerührt hat? Das habe ich erst einmal erlebt in all den Jahren, und da, ob Sie es glauben oder nicht, waren es zwei Mörder. Ein Mörder und eine Mörderin, um präzise zu sein, mit einem gemeinsamen Opfer, ohne dass sie voneinander wussten. Interessant, was? Diese doppelte Gleichzeitigkeit, ich meine des Opfers und der Tatzeit. Das Gift hat übrigens nicht die Dame verabreicht, obwohl es heißt, Frauen greifen lieber zu Gift als zu Keule, Schießprügel oder Messer. Andererseits – oje, ich verplaudere mich. Verzeihen Sie, Ekhoff, so halte ich mich munter und aufmerksam. Was wollen Sie noch wissen?»
    Alles, dachte Paul Ekhoff und sagte: «Bleiben wir erst mal bei der Verletzung, die war …»
    «… gleich tödlich, ja. Trotzdem interessant. Es ist ja zum Glück nicht so, als hätten wir wie in Chicago oder Shanghai alle Tage ein Dutzend Mordopfer zu beklagen, mir reicht es auch, wenn die Leute am Dreck und an der Armut krepieren, wenn sie – na egal, das ist jetzt nicht unser Thema. Dieser arme Kerl wäre übrigens sicher nicht an Elend und Hunger geendet. Wenn man vom Blut absieht, ist er ein gepflegter und gutgekleideter junger Mensch. Ganz jung nicht mehr, das werden wir bei besserem Licht und auf dem Sektionstisch verlässlicher feststellen, jetzt schätze ich ihn auf etwa dreißig. Jedenfalls war das, was er am Leibe trägt, nicht billig. Das nebenbei gesagt. Mich geht ab jetzt nur noch an, was er unter der Haut zu bieten hat. Für alles andere werden Sie bezahlt.»
    Diesmal nickte Ekhoff nicht, diesmal grinste er. Dr. Winkler war einer von denen, die sich trotz gegenteiliger Beteuerungen nie mit den Grenzen ihres Fachgebietes arrangieren konnten.
    «Ich merke es mir trotzdem. Verraten Sie mir, was an dem Schnitt in den Hals besonders interessant ist.»
    «Abgesehen davon, dass der Mann nun tot ist, an sich schon ein Ereignis, jedenfalls für seine Familie, falls er eine hat, wie fast jeder Hund auf Erden», er seufzte, vielleicht dachte er an seine fünf Töchter, und beugte sich wieder über die Wunde, sein Gehilfe senkte eilfertig die Laterne, «tja, abgesehen davon ist, was wir hier sehen, Ekhoff, ein tadelloser Schnitt. Geradezu kunstvoll. Die Gazetten
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